Freitag, 6. Januar 1989
Am View Point
Nach dem Frühstück lauf’ ich nordwärts zum „View Point“. Das dauert rund eine Stunde. Von hier hat man einen Wahnsinns-Blick auf die Reisterrassen, die oft als das „Achte Weltwunder“ beschrieben werden. An dieser Stelle hat das Tourismus-Ministerium eine Gruppe Ifugaos beschäftigt, die den Fremden touristengerecht und in komprimierter Form vom „Achte Weltwunder“ erzählen und ihre rituellen Tänze und Gesänge zeigen.
Sie erzählen uns, die Reisterrassen seien über 2000 Jahre alt und die höchsten der Welt. Dazu sag ich nur: Das Magellans Cross in Cebu ist ebenfalls das Original-Kreuz von 1521. Doch gesehen hat es niemand – im Magellans Cross Pavillon steht nur ein modernes schwarzes Holzkreuz, das hohl ist und das Original-Kreuz enthalten soll. Dennoch berichten Reiseführer unermüdlich jedem Besucher von den angeblich 2000 Jahre alten Reisterrassen. Durch neuere Erkenntnisse weiß man allerdings, dass diese kaum älter als 400 Jahre sind.
Die „Pseudo-Folklore“ der Ifugaos
Ein paar ältere Ifugaos haben sich in Schale geworfen. Sie tragen Kleidung, die sie für mich fast wie Indianer aussehen lassen. Einen Lendenschurz, den sie „wanoh“ nennen, einen Speer namens „baghe“ und ein federgeschmücktes, hohles Kopfband, das „kungkung“ nennen. In diesem Kopfband bewahren sie – ähnlich wie wir in einem Geldgürtel – ihre Wertsachen auf: Tabak, Streichhölzer oder auch ein Foto von Freundin oder Familie. Eine Kommunikation mit ihnen ist – aufgrund der Sprachbarrieren – nicht möglich. Für ein paar ₱ direkt in die Hand stellen sie sich aber gern in Pose. Nachdem ich einen Schein locker gemacht habe, holt ein Ifugao sogar seine Flöte hervor und spielt darauf, aber nicht mit dem Mund, so wie wir, sondern mit der Nase.
Dann wird uns der Totenkult der Ifugao erklärt. Stirbt jemand aus dem Ifugao-Clan, wird er oder sie unter dem Haus der Familie beigesetzt. Es gibt kein Begräbnis, wie wir es kennen. Stattdessen findet rund um den Toten und das Haus ein Fest statt. Für jeden Tag der Totenwache („wake“) wird ein Schwein geschlachtet und die Verwandtschaft verköstigt. Verdorrt das Fleisch der Leiche, werden die Knochen in ein Bündel gewickelt und auf einer flachen Steinplatte außerhalb des Hauses abgelegt. Dort bleibt es über Generationen, bis der Wind es in die Ewigkeit trägt. Zum Glück musste ich keine Mumien sehen.
Der Auftritt der Ifugaos erinnert mich irgendwie an einen Brauchtumsabend in Bayern. Dort hüpfen die Akteure auch in Lederhosen und Dirndl herum, obwohl diese Klamotten im Alltag kaum noch jemand trägt. Es wirkt fast wie ein kleines Theaterstück, bei dem die Vergangenheit für ein Publikum wiederbelebt werden soll. Mir steht der Sinn eher nach Menschen, bei denen Tradition nicht nur eine inszenierte Show, sondern Teil ihres gelebten Alltags ist. Und obwohl ich es eigentlich ablehne, komme ich doch nicht umhin, mir von hier eine kleine Erinnerung mitzunehmen. Für wenige ₱, sicher keine 10 DM, kaufe ich mir zwei angeblich handgeschnitzte Kelche, die für mich irgendwie wie Tulpenblätter aussehen. Vielleicht sind sie ja nicht wirklich authentisch und am Ende doch nur Massenware, aber für mich haben sie etwas Besonderes, etwas, das mich an diesen Ort erinnern wird. Es ist ein Kompromiss, den ich eingehe – zwischen meiner Skepsis gegenüber inszenierten Traditionen und meiner Lust, etwas von der Atmosphäre dieses Ortes in meinem Alltag zu bewahren.
Auf dem Batad Trail
Die Reisterrassen von Banaue sind einzigartig, doch die Reisterrassen von Batad sollen „noch viel einzigartiger“ sein. Der Weg sei lang und das ewige Auf und Ab soll ganz schön auf die Lunge gehen, trotzdem hab’ ich vor, heute den Batad-Trail zu machen. Dazu geht’s zuerst von Banaue aus auf der Banaue-Mayoyao-Alfonso-Lista-Isabela-Boundary- Road (der Name ist eigentlich egal, da es eh die einzige Straße in dieser Richtung ist) mit dem Jeepney nach Osten.
Dazu heuere ich Eduard Bandao Jr. an, der einen Jeepney besitzt und solche Fahrten anbietet. Vor Eduards Jeepney treffe ich zwei Schweizer, die zufällig die gleiche Idee haben wie ich. Nach etwa 25 km oder 1 Stunde Fahrt – Eduard weiß genau, wo er halten muss – erreichen wir eine Wellblechhütte in einer Rechtskurve mitten im Nirgendwo. Hier endet der angenehme Teil des Trails. Wir steigen aus und verabreden, dass Eduard uns am Abend genau hier wieder abholen soll. Dann geht es zu Fuß weiter über den etwa 7,5 km langen Batad Trail.
Im Wesentlichen ist der nur 60 bis 80 cm breite Weg eben oder es geht leicht runter. Trotzdem ist er in der Hitze – zumindest für mich – unwahrscheinlich anstrengend. Mit Rucksack hätte ich das gar nicht gepackt. Der Schweiß rinn, der Kreislauf ist am Kollabieren, die Zunge brennt und ich hab nicht die Spur zu trinken. Den Schweizern steht die Anstrengung ebenfalls ins Gesicht geschrieben. Auf einem merklich ansteigendem Weg kämpfen wir uns nach oben. Dort glauben wir, unseren Augen nicht zu trauen. In den Kordilleren 1½ Stunden sind wir jetzt etwa unterwegs – aber was für eine 1½ Stunden. Jedenfalls sehen wir jetzt rechter Hand eine „Hütte“, wobei „Hütte“ eigentlich schon viel zu viel gesagt ist. Die „Hütte“ ist lediglich ein 2 x 2 m großes Gerippe, in jedem Eck ein Holzpfahl, einem Wellblechdach drauf und einer Art Sideboard drin und – jetzt kommt’s – das Sideboard ist vollgestopft mit Cola. Wie hat der Typ in der Hütte das bloß hierher gebracht? Gierig schütten wir die braune Brühe in unsere Kehlen. Gestärkt , mit einem Dankesseufzer auf den Lippen und im Herzen, gehen wir, auf dem von oben nicht zu übersehendem Pfad hinab Richtung nach Batad.
Wir haben unser Ziel erreicht. Die Wanderzeit seit Verlassen des Jeepneys betrug etwa zwei Stunden. Zwei Stunden, aber was für welche. Dabei sagen die Einheimischen hier, dass der Batad-Trail der einfachste Trail sei . Danke, mir reicht’s. Möchte nicht wissen, wie dann die schwierigen sind.
Rückweg nach Banaue
Die Reisterrassen hier sind einzigartig. Um das in der Talsohle liegende Dorf sind die Anbauflächen in Form eines riesigen Amphitheater nach allen Richtungen hinaufgebaut. Besonders sind auch die Stützmauern aus Stein, nicht aus Lehm. Die Schweizer haben beschlossen, die Nacht hier zu verbringen und wollen morgen zu den Tippiya Falls. Am liebsten würd‘ ich, weil ich so kaputt bin, auch hier bleiben, aber ich muss übermorgen wieder in Manila sein und dann ist die Reise bald zu Ende.
Ich verabschied’ mich und mach mich alleine auf den Weg zurück, schließlich muss ich um 17:00 Uhr, das hatten wir so mit Eduard ausgemacht, bei der „Wellblechhütte in der Kurve“ sein. Gegen 16:30 Uhr erreich’ ich den vereinbarten Treffpunkt. Der Jeepney wartet schon (wieder eine Erfahrung!) und wundert sich, dass ich alleine komme. Da ich die Fahrt zurück aber komplett zahle, stört das den Fahrer wenig.
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