Dienstag, 13. Dezember 1988
Letzte Stunden in Puerto Princesa
Heute ist mein letzter Tag in Puerto Princesa. Der Flug nach Manila geht aber erst am späten Nachmittag (16:40 Uhr). Was also tun an einem solchen Tag? Viel anfangen kann man da eigentlich nicht mehr. Also lauf ich nochmal die große Runde. Am Mendoza-Park, wo seit einer Woche abends die Hölle los ist, ist jetzt am Morgen gar nichts los, außer dass ein paar Arbeiter den Platz kehren.
Ich geh’ weiter, links runter Richtung Hafen. Keine Ahnung, warum, aber der Hafen ist für mich einer der interessantesten Plätze in Puerto Princesa. Hier könnte ich stundenlang sitzen und den ankommenden und abfahrenden Booten zusehen. Dann geh ich den Weg einfach weiter.
Ignacio’s
Ich bin zurück in der Quezon-Street und habe das „Ignacio’s“ an der Ecke Quezon-/Sandoval-Street entdeckt. Das einfache Lokal mit Plastikstühlen bietet preisgünstiges Essen und wird von Einheimischen besucht – ein gutes Zeichen. Die Speisekarte konzentriert sich auf „Pancit“-Variationen, eine Art philippinische Nudelgericht, von denen ich „Pancit Canton“ probiert habe.
Das Gericht erinnert entfernt an Spaghetti, unterscheidet sich aber deutlich: Statt Tomaten- oder Hackfleischsoße gibt es eine würzige Soja-Soße mit Gemüse, Fleisch und Fischstückchen. Es schmeckt hervorragend! Meine Portion enthält u.a. Chinakohl, grüne Bohnen, Karotten, Frühlingszwiebeln, Hühnchen, Schwein und eventuell Krebsfleisch. Besonders toll: die Calamansi, kleine Zitrusfrüchte, die den Geschmack abrunden. Schade, dass ich dieses Lokal erst heute entdeckt hab’.
Duchess Pension House und der Mann aus Fellbach
So, das war’s dann. Allmählich wird es wohl , aufzubrechen. Ich gehe zum „Duchess Pension House“, um meinen Rucksack zu holen, auszuchecken und die Rechnung für die letzten beiden Nächte zu bezahlen. Leider ist Edwyna wieder nicht da, sondern nur eine junge Frau, die ich bisher überhaupt noch nicht gesehen habe. Vom Alter her könnte sie Edwynas Tochter sein, ich frag jetzt aber nicht nach. Ich lass’ 100 ₱ da, weil ich denke, dass das passt. Gestern hat mir Edwyna für zwei Nächte nämlich 70 ₱ berechnet. Schade, zu gerne hätte ich mich noch von Edwyna verabschiedet. Ich bitte die junge Frau, Edwyna herzlich von mir zu grüßen.
In der Valencia Street, das ist die Seitenstraße, in der das „Duchess“ ist, werde ich wohl kaum ein Tricycle bekommen. Also gehe ich nordwärts Richtung Rizal Avenue. Das sind vielleicht 400 Meter. Aber bereits nach 100 Metern, in der Manalo-Street fällt mir ein altersschwaches, blaues Tricycle mit einem „Fellbach-Aufkleber“ auf. Ich schau mir das Trike etwas näher an, da kommt ein Deutscher aus dem Haus. Es ist Manfred Schmid. Er kommt ursprünglich aus Fellbach (nur 12 km entfernt von Geradstetten). Manfred hat 300 m östlich des „Duchess Pension Houses“ zusammen mit seiner philippinischen Frau Zenaida die Pension „Sonne“.
Er will in ein paar Minuten auch zum Flughafen, ein Schweizer Pärchen rausfahren, das bei ihm gewohnt hat, Karin und Rolf. Zu viert tuckern wir dann zusammengekauert die 2½ Kilometer raus bis zum Flughafen. Wie immer ein Abenteuer. 15:00 Uhr. Man kann bereits einchecken. Nachdem das Gepäck aufgegeben ist, hab’ ich noch über eine Stunde Zeit. Die will ich nutzen, kurz noch ‘rüberzugehen zu „Sheena’s“, um mich von Rudi und den Mädchen zu verabschieden. Zu Fuß und ohne Gepäck sind’s knapp 10 Minuten.
Sheena’s
Das „Sheena’s“ ist zwar offen aber es sind keine Gäste da. Nur Rudi steht hinterm Tresen und liest in der Zeitung. Die Mädchen sind nicht da. Kein Wunder, es ist ja noch kein Betrieb. Rudi und ich kommen ins Plaudern. Ich bedank’ mich noch mal für den tollen Tipp Richtung Norden zu gehen. Ja, das war wirklich was. Das war Abenteuer pur. So wie ich’s mir immer gewünscht hab’. Jetzt wo’s vorbei ist und ich überlebt hab’, kann ich das leicht sagen. Hätt’ aber auch ganz anders kommen können. Rudi gibt zum Abschied noch ein Bier aus. Hätt’ zu gern noch mal Joy und Rosi getroffen, aber das wird wohl nichts mehr. Etwas traurig mach’ ich mich auf den Weg zurück zum Flughafen.
Flughafen
Im Flughafengebäude treff’ ich Manfred und das Schweizer Pärchen wieder. Mit allen dreien kann man sich so richtig gut unterhalten (auf Deutsch!), sodass der Abschiedsschmerz schon fast verflogen ist. Nach zwei weiteren Colas wird Flug PR 198 aufgerufen. Karin, Rolf und ich verabschieden uns von Manfred und gehen über das Rollfeld rüber zur Maschine.
Flug nach Manila
Wie oft bin ich jetzt schon geflogen in letzter Zeit. Heute habe ich 19E, einen Fensterplatz auf der rechten Seite. Die Schweizer sehe ich leider nirgendwo mehr. Das Wetter ist fantastisch und wir haben einen wunderbaren Flug und einen fantastischen Blick. An den Küsten und Riffen brechen sich die Wellen und zeichnen weiße Schaumkronen ins tiefblaue Meer. Kaum dass wir den Taal Vulkan überflogen haben, sind wir auch schon da, in Manila.
Bei der Gepäckausgabe treff ich die Schweizer wieder. Sie meinen, dass es wohl besser ist, nach der Ankunft noch etwas im Flughafengebäude zu bleiben, zumindest so lange, bis der große Schwung Taxifahrer weg ist. Derweil sehen wir uns draußen vor der Halle die Oldtimer-Flugzeuge an.
Karin und Rolf wollen ins „Royal Palm“ in Ermita. Richtung Ermita will ich auch, da können wir uns doch zusammentun. Abgemacht! Wir nehmen ein Yellow Cab. Dessen Fahrer scheint aber ein ganz ausgekochtes Schlitzohr zu sein, denn er weigert sich partout sein Taxameter einzuschalten. Sei kaputt, meint er. Doch da hat er nicht mit Rolf gerechnet. „Bad luck. The display shows 0.00 ₱, so we pay 0.00 ₱. Cheap trip! Thank you, good friend!“ Der Mann am Steuer platzt vor Wut und verlangt 100 ₱. Rolf aber bleibt hart und plötzlich geht das Taxameter wieder.
Als wir am „Royal Palm“ ankommen, zeigt die Uhr 54,50 ₱. Rolf gibt ihm einen Limampu- und einen Lima-Piso-Schein und besteht drauf, dass er 50 Centavos zurückbekommt. Trinkgeld gibt es keines! Ich könnte das nie – ich wäre dazu viel zu gehemmt. Deshalb bewundere ich, wie entschlossen Rolf auch gegenüber einem Filipino agiert und sich von dem Macho in keinster Weise einschüchtern lässt. Das ist für mich schon beeindruckend.
Ich verabschiede mich von Karin und Rolf mit der Ausrede, dass ich noch ins „Robinson’s“ wolle, nach einer Kamera gucken. Das stimmt zwar in gewisser Weise zwar, der Hauptgrund aber ist, dass mir das „Royal Palm“ mit 40 US-$ pro Nacht einfach zu teuer ist. Da gibt es in der Mabini-Street sicher noch was Günstigeres. Unterwegs komm an etlichen Unterkünften vorbei: Mabini Pension, Centrepoint, Ermita Tourist Inn usw., usw. Dann bleibe ich beim Santos’ Pension House stehen. Keine Ahnung warum, aber das sagt mir irgendwie zu.
Eine neue Kamera
Nachdem ich eingecheckt und mein Gepäck ins Zimmer gebracht hab, geh ich rüber zum „Robinson’s“. Dort soll es gleich nebenan einen CANON-Laden geben. Das hört sich gut an. Aber als ich dort bin, haben die nur eine EOS 650. Die Frage nach einer AE-1 (die auch schon wieder 12 Jahre alt ist) löst nur ein müdes Lächeln hervor. Ich würde die EOS ja notgedrungen kaufen, aber da passt keines meiner Objektive drauf und Batterien habe ich auch keine dafür. Da hat man neuerdings Akkus und für die bräuchte ich zusätzlich auch noch ein Ladegerät. Fazit: Vergiss es! Als Alternative können Sie mir aber eine T 70 anbieten. Da würden meine FD-Objektive passen. Die Verkäuferin will mir die Kamera aber nur zusammen mit einem mit 35-70 mm Objektiv verkaufen. Das will ich dann wiederum nicht. Schlussendlich bietet sie mir eine gebrauchte AL-1 an. Die sieht meiner AE-1 einigermaßen ähnlich, die Objektive passen und die Kamera löst auch aus. Ich denke, was Besseres kommt nicht nach. 3998 ₱ (336 DM) sind zwar ein Schweinegeld, aber so sind wenigstens meine Dias und damit mein Urlaub gerettet.
Mit einer „neuen“ Kamera im Gepäck fühl’ ich mich sauwohl und versuch’ daher, im „Pistang Filipino“ (übersetzt: Philippinisches Fest) in der Mabini-Street für Bärbel einen Ring zu bekommen. Die Auswahl ist riesig und man weiß nicht, wo man anfangen soll. Nach längerem Suchen find’ ich einen kleinen silbernen Ring mit türkisfarbenen Steinen. Den kann ich mir an der Hand von Bärbel ganz gut vorstellen. Hoffe nur, dass er ihr auch gefällt.
Nach einem kleinen Essen im Sea Palace, es gab Hühnchen, Reis und Bier (35 ₱, ca. DM 3,00) geh’ ich wieder zurück ins „Santos Pension House“.
Aguilar Konzert im Hobbit House
Im Santos’ ist nicht allzu viel los. Ich trinke noch eine Cola und lasse meine Gedanken schweifen, während ich in meinem „Jens-Peters“ blättere. Der Abend scheint für mich schon gelaufen, da fällt mein Blick auf eine etwa 40-jährige rothaarige Frau. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich verstohlene zu ihr rüber blicke, aber ich bringe nicht den Mut auf, sie anzusprechen. Es ist selten, dass mich jemand so aus der Fassung bringt – die Frau hat eine Ausstrahlung, die den ganzen Raum einnimmt. Einfach beeindruckend und zugleich überwältigend!
Wie ich so vor mich hin schwärme, spricht sie mich plötzlich an. In deutsch. Ich glaub’, mich streift ein Bus. Sie erzählt, dass sie an meinem Reise-Handbuch gesehen hat, dass ich offensichtlich deutsch spreche und dass sie so gerne ins Hobbit House gehen würde. Das sei gar nicht weit weg von hier, ebenfalls in der Mabini Street, Hausnummer 1801. Dort soll heute Abend Freddie Aguilar auftreten, der – so ihre Worte – wohl populärste Sänger der ganzen Philippinen überhaupt. Der Star schlechthin. – Sag mal, war das nicht der, von dem ich mir letzte Woche die Cassette gekauft habe, der mit dem „Estudyante Blues“? Sie würd’ schon gern hingehen, sagt sie, aber andererseits habe sie auch gelesen, es sei recht ungünstig, als Frau allein durch Ermita zu gehen. Dazu muss man wissen, Ermita ist das absolute Rotlichtviertel Manilas. Sie fragt, ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten. Dass ich mir das nicht zweimal sagen lassen, dürfte wohl klar sein. Mit klopfendem Herzen sage ich zu und hoffe, dass dieser Abend dann auch was wird.
Hobbit House
Wir machen uns erst frisch und dann auf den Weg. Die Mabini Street nach Süden und immer weiter nach Süden. Der Weg zieht sich ganz schön hin. Schätze, etwas über einen Kilometer. Irgendwie komisch, ich freu’ mich zwar, bin andererseits aber auch recht unsicher, was ich mit Christiane reden soll. Nach etwa 20 Minuten erreichen wir 1801. An der Tür zum Hobbit House werden uns dann gleich mal je 400 ₱ „Cover Charge“ abgenommen. Wofür? Keine Ahnung. Es scheint eine Art Eintritt zu sein, aber es gibt keine klare Erklärung. Na gut, jetzt sind wir schon mal da. Wir zahlen und gehen rein.
Natürlich sind wir viel zu früh dran. Auf den Philippinen laufen die Uhren nämlich anders. Aber das frühe Kommen hat auch sein Gutes: So bekommen wir einen Platz direkt an der Bühne. Und da sitzen wir nun und warten und trinken: Zum ersten Mal Red-Horse-Beer. Das ist das einzige, das es auf den Philippinen in Halbliterflaschen gibt. Das Bier hat es auch ganz schön in sich. Wir kommen sehr angenehm ins Plaudern. Jetzt erst erfahr’ ich, dass die Frau Christiane heißt und aus der Gegend von Wetzlar kommt. Wir reden und reden und reden… So merken wir gar nicht, wie schon über eine Stunde vergangen ist und bereits eine Vorgruppe spielt.
Das Hobbit House hat seinen Namen daher, dass die Gäste hier von „Zwergen“ bedient werden, die kaum über die Tischkanten hinwegsehen und man eigentlich nur in Hüfthöhe schwebende Tabletts sieht. Das erinnert mich irgendwie an die Darstellung „Siamesischen Zwillingen“, „Schlangenmenschen“, „bärtigen Frauen“ oder eben „Zwergen“ auf Volksfesten und in Bierzelten. Als Kind habe ich das bei uns im Dorf noch selbst erlebt. Der Besitzer der „Hobbit House“ ist Jim Turner. Er kam Mitte der fünfziger Jahre als Soldat eines US-Friedencorps auf die Philippinen und blieb. 1972 gründete er das Hobbit-Haus.
Freddie Aguilars Rolle im Widerstand
Zum ersten Mal sehe ich Freddie Aguilar, dessen Lieder mich – obwohl ich die Tagalog-Worte nicht verstehe – schon immer fasziniert haben. Seine Magie ist unübersehbar: leicht zurückgelehnt auf einem rostigen Barhocker, im übergroßen weißen Sakko, Bogart-Hut und mit seiner schwarzen Gitarre. Das Publikum feiert ihn, bevor er auch nur einen Ton gespielt hat. Seine Musik trifft einfach direkt ins Herz – vertraut und mitreißend. Am liebsten möchte man mitsingen, so geht die Musik ins Ohr.
Aguillar strahlt so eine enorme Kraft aus, dass Du, ob du es willst oder nicht, Gänsehaut am Rücken und Tränen in die Augen bekommst. Als er dann aber die ersten Akkorde von „Bayan Ko“ anstimmt, gibt es im „Hobbit House“ kein Halten mehr. Der Gesang mit dem sicherlich wichtigen Text geht unter. Aber die Philippinos kennen alle den Text des ikonischen Protestlied aus der Zeit der Marcos-Diktatur.
Als die Gitarre plötzlich verstummt und Aguilar die letzten Worte – ohne Musikbegleitung – nur noch spricht, kann man im Hobbit-House eine Stecknadel fallen hören.
Bayan Ko | |
Pilipinas kong minumutya Pugad ng luha at dalita Aking adhika Makita kang sakdal laya |
Philippinen, mein geschätztes Land, meine Heimat voller Sorgen und Tränen. Immer träume ich davon, dich wirklich frei zu sehen. |
Jetzt verstehe ich langsam, warum die Stimmung hier so besonders ist: Unter Marcos war es verboten, „Bayan Ko“ zu singen. Wer erwischt wurde, landete unweigerlich im Gefängnis. Aber der Widerstand war da. Das konnte nicht mehr lange so weitergehen. Nach der Ermordung von Benigno Aquino und Marcos’ umstrittener Wiederwahl 1986 gingen Hunderttausende auf die Straße – angeführt von Nonnen, Priestern und, wie man sagt, auch Freddie Aguilar. Mit seinem Lied „Bayan Ko“ soll er die Menschen vereint haben. Und jetzt, keine drei Meter vor uns, spielt er wieder diesen Song.
Als sich Soldaten dann auch noch weigerten, dem Schießbefehl von General Artemio Tadiar nachzukommen, war’s das mit Marcos. Die Tage Ende Februar 1986 gingen als EDSA-Revolution in die Geschichte ein. Es lag nun an Corazon Aquino, die demokratische Institutionen wiederaufzubauen und das Land stabilisieren. Seit dieser Zeit ist das „Hobbit House“ ein wichtiger Treffpunkt der Opposition – von Studenten bis Politikern. Hier wird Gleichheit gelebt; auch kleinwüchsige Menschen arbeiten hier und wohnen sogar im Haus.
Der Abend war einzigartig und jeden Peso wert. Dennoch müssen wir aber irgendwann doch „nach Hause“, schließlich geht morgen um 8:15 Uhr – so war zumindest Janes Plan – schon mein Flugzeug Richtung Kalibu und Boracay. Mist! Reconfirmen hab ich vergessen, ich hoffe aber, dass das morgen früh noch geht und ich mitkomme.
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