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Enge Täler, weites Meer – Ein Sommer in Imperia


Im Juni 2004 hatte ich Gelegenheit, eine Woche in der italienischen Provinz Imperia unterwegs zu sein, um Aufnahmen für einen VHS-Diavortrag zusammenzustellen. Ich kenne Imperia schon länger, und so war es für mich gar nicht schwierig, entsprechende „Locations“ zu finden. Trotzdem – wie soll man eine Provinz vorstellen, die außerhalb von Italien wohl kaum jemand kennt?

Ich will’s einfach mal versuchen: „San Remo“, das dürfte doch jedem schon mal untergekommen sein. „Ein Lied für San Remo“, der legendäre Musikwettbewerb, oder „Mailand-San Remo“, das klassische Frühjahrs-Radrennen und nicht zuletzt „Das Spielcasino in San Remo“. Ich denke, davon haben Sie alle schon mal gehört.

3 Begriffe um diese zauberhafte Region zu beschreiben sind einfach zu wenig. Vielleicht schaffe ich es ja, Ihnen mehr als nur 3 Begriffe über Imperia zu vermitteln. Vielleicht kann ich beim einen oder anderen ja sogar den Wunsch wecken, selbst mal nach Imperia zu fahren. Ich jedenfalls fühl’ mich immer sehr wohl hier, so „Zwischen engen Tälern und dem weiten Meer“.

Wenn man Imperia sucht, sollte man zunächst mal Italien suchen, auf die westliche Seite gehen und dann von Korsika aus einfach schnurstracks nach Norden, bis man an die Küste der Riviera stößt.

Von Süddeutschland aus, ich habe das Glück, in Bayern zu wohnen, ist man mit dem Auto – je nach Fahrweise und Pausen – in 8 oder 9 Stunden da. Der Weg führt über die Bodenseeautobahn nach Bregenz, dann über den San Bernardino, an Mailand vorbei und in Genua ist man fast schon da.

Den südlichen Abschluss Imperias zum Meer hin bildet die Blumenriviera, im Norden liegt das Piemont, im Westen liegen Frankreich und Monaco und im Osten die ligurische Provinz Savona. 217.000 Imperesi wohnen hier. Die größte Stadt heißt genauso wie die Provinz selbst: Imperia. In dieser Stadt wohnen etwa 40.000 Menschen.

Das Klima in Imperia ist unwahrscheinlich mild und so ist Imperia Heimat geworden für Pflanzen aus der ganzen Welt. Das hat allerdings auch einen Nachteil: Die Hänge sind massenhaft mit Gewächshäusern verschandelt.

Die Autobahn ist auch nicht g´rad der Hit, …

… fürs Auge nicht…

… und auch nicht für den Geldbeutel.

14,20 € kostet 2004 die Maut für die 55 km lange Strecke. Aber immerhin. Die Autobahn in Imperia ist eine der modernsten von ganz Italien. 90 Brücken, 67 Tunnels. Das kost’ schon was.

Ich bin so ein Typ, der – grad’ im Urlaub – besonders aktiv wird. Frühstück im Hotel, das ist nichts für mich. Meist bin ich morgens schon um 5:00 Uhr unterwegs – manchmal sogar noch früher. So geht’s auch heute los, um Imperia zu erkunden.

90% der Fläche Imperias ist Berg- und Hügelwelt. Ohne Abstecher dorthin wäre Imperia nicht komplett. Deshalb gilt mein Interesse zunächst dem Hinterland. Dies kann man nur über Stichstraßen erreichen. Untereinander sind die Täler kaum verbunden.

Dolceaqua


Den Anfang macht heute das Nervia-Tal und wenn am Nachmittag noch Zeit ist, geht’s nach Balzi Rossi. Balzi Rossi liegt ganz im Westen, in der Nähe von Ventimiglia.

Meine erste Station im Nervia-Tal ist Dolceacqua. Auffallend das Terra-Viertel und darüber die Burg der Doria. Die Gassen in Dolceacqua sind furchtbar schmal und führen kreisförmig zum Monte Rebuffao hinauf. Aus Platzmangel hatte man schon früh die Häuser allesamt in die Höhe gebaut, im Durchschnitt sechs Stockwerke.

Trotzdem hat in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Platz im Terra-Viertel nicht mehr ausgereicht. Die Bevölkerung von Dolceacqua hatte derart zugenommen, dass man auf der anderen Seite der Nervia ein neues Viertel bauen musste: den Ortsteil Borgo. Beide Stadtviertel wurden hernach durch die „Ponte Vecchio“ miteinander verbunden, eine Bogenbrücke mit 33 Metern Spannweite. Dem Kunstliebhaber ist sie durch Claude Monets Gemälde aus dem Jahre 1884 bekannt, einem Gemälde mit dem schlichten Titel „Die Brücke von Dolceacqua“.

Fährt man im Nervia-Tal weiter, liegt kurz hinter Isolabona, unmittelbar an der Straße, ein kleines Gebäude, bei dem man unbedingt anhalten sollte: Das „Santuario della Madonna Grazie“, eine Kirche aus der Spät-Renaissance, was man wegen des im klassizistischen Baustil gehaltenen Vorbaus allerdings nicht unmittelbar erkennen kann.

In dieser äußerlich unscheinbaren Kirche kann man nämlich – ohne Museum und Eintritt und so – Fresken des berühmten italienischen Malers Luca Cambiaso (1527 – 158) bewundern.

Pigna


Ein paar Kilometer weiter liegt Pigna. Pigna ist das italienische Wort für „Tannenzapfen“ oder genauer gesagt „Pinienzapfen“. Wahrscheinlich leitet sich daraus auch der Name des Ortes ab, denn wie die Schuppen eines Tannenzapfens klammert sich auch der Dorfkern Pignas an den Hügel.

Die Hauptstraßen Pignas – wenn man die Wege überhaupt Straßen nennen kann – verlaufen, wie auch schon die Straßen in Dolceacqua, konzentrisch um den Hügel herum. Untereinander verbunden sind die kreisförmigen Wege nur durch radial angelegte, enge, dunkle Gassen. Offene Plätze, wo man ein bisschen durchatmen kann, gibt´s nur selten. Das markante Zentrum Pignas ist die spätgotische Kirche „San Michele“, an der man wegen allerlei Umbauten und Ergänzungen auch Elemente aus der Renaissance ausmachen kann.

Über dem Hauptportal stellt ein Bogen den Kampf zwischen Erzengel Michael und dem Teufel dar. Geschaffen hat das Werk Giorgio De Lancia. Darüber findet man eine prächtige, ganz aus Marmor gearbeitete Fensterrose aus dem Jahre 1450. Sie wurde von Giovanni da Bissone erstellt.

Aber auch abseits der Kirche finden sich hübsche Motive. Zum Beispiel die nach dem Wallfahrtsort Lourdes benannte Grotte oder auch nur die pure Botanik.

Von Pignas höchstem Punkt, der Piazza Castello aus, hat man einen prächtigen Blick hinunter ins Bonda-Tal und auf das Dörfchen Castelvittorio, das gegenüber am Hang klebt und vom mächtigen Turm der Kirche „San Vittorio“ überragt wird.

Mich zieht’s weiter. Ich suche den Weg nach Baiardo. Es soll eine Straße dorthin geben, wird mir erklärt, aber die sei die meiste Zeit gesperrt, witterungsbedingt. Aber vielleicht hab’ ich ja Glück. Immerhin ist das Wetter heute vom feinsten.

Ich habe Pigna und Castellvittorio schon lange hinter mir gelassen und befinde mich auf der Straße nach Baiardo. Nichts ist mit „gesperrt“ oder so. Wenn man vom Zustand mal absieht. Fahrern, die ihr Auto lieben, würde ich diese Strecke nicht empfehlen.

Für die 8 km nach Baiardo brauche ich dann auch etwas über eine halbe Stunde, aber dann bin ich da. Ganz oben auf dem Altstadthügel erinnert die Ruine der Kirche „San Nicolo“ an eine furchtbare Katastrophe: 200 Menschen wurden hier begraben, als durch ein Erdbeben während eines Gottesdienstes 1887das Kirchendach einstürzte und die Kirchenbesucher unter sich begrub. Die Altstadt wurde nie mehr aufgebaut. Die Häuser verfallen. Nur hier und da bahnt sich die Natur ihren Weg.

Apricale


Mein nächstes Ziel ist das Dorf Apricale im Merdanzo-Tal. Apricale rühmt sich damit. die älteste Verfassung von ganz Ligurien zu haben. Sie stammt aus dem Jahr 1267 und wird in der „Burg Lucertola“ aufbewahrt.

In das Dorf hinein kommt man nur zu Fuß, durch überdachte Durchgänge und Steinarkaden. Misstrauisch beäugt von manchen Einwohnern, denen es gar nicht so gefällt, wenn man 30 cm vor ihnen rum rennt und „Bitte recht freundlich“ ruft.

Hinweis: Was mich so misstrauisch beäugte, war eine Katze. Ich würde nie einen Menschen ungefragt aus nächster Nähe ablichten.

An der „Piazza Victor Emanuelle“ stößt man auf die vergleichsweise moderne Pfarrkirche „Puraficazione di Maria Vergine“, deren Fassade ein wundervolles Mosaik ziert. Man braucht sich nur umzudrehen und schaut ein paar hundert Jahre zurück; auf das fast schon mystisch anmutende „Oratorium San Bartolomeo“ aus dem 16. Jahrhundert.

Südlich von Apricale, auf einem Hügel liegt Perinaldo. Konstante Winde sorgen dafür, dass sich hier kaum Wolken bilden. So ist der Blick frei, nach allen Richtungen – auch nach oben. Das hat Cassini, berühmter Astronom und Sternengucker, schon vor über 200 Jahren für sich genutzt. Seine Entdeckungen über Saturn und dessen Ringe oder Jupiter und seine Monde bildeten die Grundlage der modernen Astronomie. Wer nach Perinaldo kommt, sollte aber nicht nur Cassini einen Besuch abstatten, sondern unbedingt auch die Pfarrkirche „San Nicolò“ besuchen. Die Kirche wurde 1489 geweiht und im 18. Jahrhundert umgebaut. Für mich ist die Kirche ein Juwel!

Seborga


Mein nächstes Ziel ist das Dörfchen Seborga. Der Weg dorthin ist in keiner Straßenkarte vermerkt. Wohl deswegen nicht, weil er genau so abenteuerlich und verworren ist, wie die Geschichte Seborgas selbst.

Seborga ist ein Fürstentum, weil es 1079 dazu ernannt wurde, im Heiligen Römischen Reich. 1729 soll es an Vittorio Amadeo II, Herzog von Savoyen, Fürst von Piemont und König von Sardinien verkauft worden sein. Nur – davon gibt’s keine Verträge. Als man beim Wiener Kongress 1815 Europa neu ordnete, wurde Seborga einfach vergessen. Genau so war’s 1946, als die italienische Monarchie aufgelöst und die Italienische Republik ausgerufen wurde. Seborga wurde einfach vergessen. Und daran hängt Seborga seine ganze Geschichte auf. Besonders Prinz Giorgio I, im normalen Leben ganz einfach ein Blumenzüchter. Giorgio I beharrt auf dem Standpunkt: „Wir wurden 1079 zum Fürstentum ernannt, also sind wir ein Fürstentum. Daran hat sich bis heute nichts geändert“. Und wie ernst er es meint, davon zeugen Bemalung und Staatsflagge an seinem Wohnhaus. Im April 1995 hat sich Seborga sogar eine neue Verfassung gegeben. 15 Minister wurden in ihrem Amt bestätigt. Und alle haben nur ein Ziel: Die Unabhängigkeit des Fürstentums Seborga. Im „Palast der Mönche“ werden daher auch heute noch Münzen geprägt, so wie man das auch schon 1666 gemacht hat. „Das Münzrecht wurde nie aufgehoben“, sagt Prinz Giorgio, „deshalb prägen wir nach wie vor unsere eigenen Geldstücke, den „Luigino“. 7 Euro wollen sie für den Luigino haben. Aber was soll ich damit? Außerhalb Seborgas bekommt man nichts dafür. Man kann ihn höchstens als Rarität bei Ebay verschachern.

Es ist schon beachtlich, wie sich dieser Ort für seine Unabhängigkeit stark macht. Allerdings mit bescheidenem Erfolg, denn bisher hat kein Land der Welt die „Selbstbestimmte Parlamentarische Monarchie Seborga“ als solche anerkannt.

Balzi Rossi


Ich hab noch reichlich Zeit, so dass ich Lust habe, noch nach Ventimiglia zu fahren. Dort, unmittelbar an der französischen Grenze, unterhalb des Dorfes Grimaldi, liegt das für Archäologen wichtigste Gebiet von ganz Imperia: Die Höhlen von Balzi Rossi. Dort wohnten vor über 200 000 Jahren Menschen, zu einer Zeit, als der Mensch gerade begann, den Stein als Werkzeug zu verwenden. Erinnerungen an diese Zeit werden in einem kleinen Museum gezeigt: Werkzeuge, Schmuckstücke und fossile Tiere. Besonders bemerkenswert ist ein Grab aus der Alt-Steinzeit. In ihm fand man die Skelette eines Erwachsenen, eines Jugendlichen und das eines Kindes, geschmückt mit Ketten aus Muscheln und Knochen. Am meisten aber hat mich eine Höhlenzeichnung beeindruckt. Ein lebensgroßes Pferd, möglicherweise ein Prewalsky-Pferd. Das hätte ich gerne fotografiert, aber im Museum herrscht leider absolutes Fotografier-Verbot. Die jetzigen Bewohner von Balzi Rossi dagegen darf man (noch) fotografieren. Ich heb’ das Bild auf jeden Fall mal auf. Vielleicht braucht’s ja mal einer, der zeigen will, wer 2004 hier lebte. Aber Spaß beiseite, Balzi Rossi zu besuchen lohnt sich wirklich. Nur fahren Sie nie freitags hin. Da sind die Straßen Ventimiglias wegen des Wochenmarkts hoffnungslos verstopft.

Von Diano Marina über San Romolo und Ceriana nach Sanremo


Meine zweite Tour von der Küste weg führt ins Hinterland von Sanremo. Die Orte San Romolo und Ceriana stehen auf dem Plan. Nachmittags werde ich mich dann in die Nobel-City Sanremo selbst wagen. Wie jeden Tag im Urlaub, bin ich auch heute bereits wieder unterwegs noch lange, bevor der Hahn kräht. Doch das lohnt sich. Noch vor Sonnenaufgang bin ich am Capo Berta, von wo aus ich den ganzen Golf von Diano überblicken kann. Kein Tourist ist da. Niemand, der mir ins Bild läuft. Ich genieße den Sonnenaufgang und erkenne – jetzt wo es hell wird – unten am Meer den Touristenort Diano Marina. Auch hier hat das Erdbeben von 1887 alles zerstört. Nach dem Wiederaufbau hat man sich dann dem Tourismus verschrieben. Kein Wunder – Diano Marina hat den weit und breit schönsten Sandstrand von ganz Imperia. Aber auch Kultur, z.B. mitten im Ort die Pfarrkirche „San Antonio Abate“.

Etwas oberhalb von Sanremo liegt der Monte Bignone. Hier kann man eine kleine, frisch renovierte Kirchlein finden – oder dran vorbei fahren. Wer sich nicht intensiv vorbereitet hat, fährt vorbei. Dabei schützt dieses kleine Kirchlein die wohl bedeutendste Höhlenkultstätte von ganz Imperia. Hier war die „Bauma“, die Höhlengrotte des legendären Eremiten San Romolo, der der Stadt Sanremo im Mittelalter ihren Namen verlieh: Sanremo. Hier oben ist die Luft erfüllt vom würzigen Duft der Wälder. Da bekommt man erst mit, dass Imperia die waldreichste Provinz von ganz Italien ist. Viele Touristen, die ihren Urlaub ausschließlich am Meer verbringen, wissen das nicht. Dabei sind’s von der Küste bis hierher grade mal 12 km.

Auf dem Weg nach Ceriana komme ich an der Wallfahrtskirche „Madonna della Villa“ vorbei. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert.

Ceriana selbst ist ein Ort, der wahrscheinlich schon in der Römerzeit an diesem Hang klebte. Der Ort ist reich an geschichtlichen und architektonischen Sehenswürdigkeiten: In Stein gemeißelte Portale und Brunnen, mittelalterliche Läden und wunderschöne Kirchen. Mein persönlicher Favorit aber ist zweifellos die Kirche St. Katharina.

Nur 10 Minuten später bin ich wieder in einer völlig anderen Welt. Kurz oberhalb von Sanremo. So ein abrupter Wechsel kann mitunter schon mal einen Kulturschock auslösen. Deshalb ziehe ich es vor, die Stadt erst mal vom Meer aus zu betrachten. So ein kleiner Bootsausflug soll beruhigend wirken. Ist es nicht beeindruckend, wie sich die Stadt an den Hügel klammert? Ist es nicht toll, wie die Barockkirche „Madonna della Costa“ ihre Stadt bewacht? Die Kirche, die über lange Zeit hinweg der einzige Anhaltspunkt für Seefahrer, um zu wissen, dass sie sich Sanremo näherten.

Das Gesicht von Sanremo wurde von der „Belle Epoque“ geprägt, vor über hundert Jahren. Und auch heute noch strahlt der Glanz von den eleganten Villen und Parkanlagen, wie zum Beispiel vom Domizil des schwedischen Wissenschaftlers Alfred Nobel, dessen Villa im maurischen Stil gehalten ist. Gleich nebenan liegt der Park der „Villa Ormond“. Neben Springbrunnen kann man hier eine ganze Reihe exotischer und mediterraner Pflanzen bewundern. Ein paar Meter weiter liegt die „Villa Zirio“. Im Garten findet man ein Denkmal, das an den deutschen Kaiser Friedrich III erinnert. Der krebskranke Mann lebte in Sanremo, nachdem seine Ärzte meinten, das angenehm milde Klima günstig für ihn sei. Als am 9. März 1888 sein Vater, der damalige deutsche Kaiser Wilhelm I, starb, musste Friedrich aber nach Deutschland zurückkehren und selbst das Amt des Kaisers übernehmen. Das machte er 99 Tage lang. Dann starb auch er. Noch am Todestag Friedrichs, es war der 15. Juni 1888, wurde ein neuer Kaiser gekrönt. Friedrichs Sohn Wilhelm II. Vielen dürfte aus dem Geschichtsunterricht vielleicht der Begriff „Dreikaiserjahr“ bekannt sein, unter dem das Jahr 1888 in die deutsche Geschichte einging. Schlendert man durch die Straßen und Boulevards von Sanremo, ist man mitten drin in einem Meer von Blumen. violetten, gelben und roten. Man fühlt sich wie im Frühling. Überhaupt scheint das ganze Jahr über Frühling zu sein. Verkörpert wird dieses Gefühl von der Statue „La Primavera“, die am westlichen Ortsende von Sanremo steht. „La Primavera“ – der Frühling.

Ein weiterer Anziehungspunkt Sanremos ist das 1905 erbaute Spielcasino. Bis in die späten sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein mit großer Anziehungskraft für betuchte Zocker aus aller Welt. Dann ging die Lizenz an die Stadt. Das Spielcasino erlitt einen rapiden Imageverlust. In Sanremo begann das große Hotelsterben. Die Spieler zogen weiter Richtung Monte Carlo. 1990 sollte der Spielbetrieb privatisiert werden. Dazu kam es aber nicht. Korruptions- und Bestechungsaffären, damals in Italien an der Tagesordnung, blockierten die Privatisierung.

Ach ja: Im Casino herrscht Garderoben-Zwang. Aber wenn Sie keinen Frack haben oder auch nur Angst, beim Roulette Ihr Urlaubsgeld gleich bündelweise zu verzocken, dann brauchen sie nicht traurig sein. In die Spielhalle nebenan können Sie auch leger gekleidet gehen. Hier verlieren Sie ihr Geld dann eben stückchenweise, wenn sie damit die einarmigen Banditen füttern. Der Effekt ist letztendlich derselbe. Nur wenn man Ihnen dort die „Hose“ auszieht, dann war’s wenigstens keine so teuere.

Das wohl meistfotografierte Gebäude in Sanremo ist die russisch-orthodoxe Kirche. Initiator des Baus war Zarin Maria Alexandrowna. Sie wollte Sanremo auch für das Zarenreich interessant machen. deshalb wurde in Russland Geld gesammelt und mit russischem Geld wurde die Kirche im Jahre 1913, 33 Jahre nach dem Tod der Initiatorin dann auch vollendet. Die Kirche ist ganz bewusst an die Sankt Basilius-Kathedrale in Moskau anlehnt.

Vor der Kirche stehen die Büsten des letzten italienischen Königs Viktor Emanuel III und seiner Frau Elena von Montenegro. Beide haben mit der russischen Kirche aber nichts zu tun.

Eine weitere wichtige Sehenswürdigkeit ist die San Siro Kathedrale mitten im Zentrum Sanremos. Sie wurde im 12. Jahrhundert erbaut nach dem Vorbild des Doms in Albenga. In der rechten Seitenkapelle steht eine relativ moderne Statue von Ferdinando Prinoth von Ortisei, die das „Heilige Herz Jesu“ darstellt. Gegenüber, in der linken Seitenkapelle befindet sich die „Jungfrau mit Rosenkranz“ von Anton Maria Maragliano.

In der Barockzeit wurde die Kathedrale, wie damals üblich, barockmäßig renoviert. Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert bekam sie dann wieder ihr ursprüngliches gotisch-romanisches Gesicht zurück. Nur nicht der 1753 von den Genuesern zerstörte Kirchturm. Dessen Stil ist heute noch „pseudo-barock“.

Rosen


Kommen wir zu einem ganz anderen Thema: Blumenzucht. Blumen sind neben dem Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Region. Einer der größten Rosenzüchter an der ganzen Blumenriviera ist Sergio Patrucco. Sein Betrieb liegt in Diano San Pietro. Die Firma Patrucco arbeitet seit mehr als 50 Jahren auf dem Pflanzensektor und hat sich auf Rosen spezialisiert. Sergio Patrucco selbst ist überzeugt, dass seine Rosen „etwas anderes“ sind als die „aufgepropften“ aus den Niederlanden und dass sie auch deutlich länger halten.

Patrucco sieht die Rosenzucht als Philosophie. Bei so viel Herzblut ist es dann auch nicht verwunderlich, dass der Große Saal des Musikvereins, in dem jedes Jahr das Wiener Neujahrs- Konzert stattfindet, traditionell mit Rosen aus Sanremo geschmückt ist. Genauso wie der Saal in Stockholm, in dem jedes Jahr traditionell der Nobelpreis verliehen wird.

Wer dachte „Bäcker“ sei ein blöder Job, der kennt den Job eines Blumenhändlers nicht. Morgens um halb 4 bin ich unterwegs zum „Mercato dei Fiori im Valle Armea“. Ich möchte einmal eine Blumenauktion live beobachten. Normalerweise ist der Markt nur für Händler geöffnet, aber mit entsprechenden „Verbindungen“ kommt man (auch als Nicht-Florist) dort hinein. Im „Mercato dei Fiori“ geht alles recht beschaulich zu. Ganz anders, als ich es mir vorgestellt hab’.

Jeder Händler hat ein, zwei Kisten einer Blumensorte, auf die er sich spezialisiert hat. Marco beispielsweise hat Strandnelken. Jeder einzelne Händler hat gar nicht so viel anzubieten, aber die Masse macht’s. Es sind an die 1000 Händler, die heute morgen im Blumengroßmarkt sind und so wechseln heute wieder Tonnen von Blumen ihren Besitzer. Morgen schon sind diese Blumen in aller Welt zu haben. Zu einem Preis, der meist 10 bis 20 mal höher liegt als das, was man den Blumenzüchtern hier für ihre Ware zahlt.

Ich könnte im Stehen einschlafen. Morgens um 3 aufstehen ist dann auch für mich etwas zu viel des guten. Aber jetzt wieder ins Hotel zurückfahren und ins Bett liegen, das bringt’s ja auch nicht.

Valle Argentina


Also fahr ich mal wieder ins Hinterland. Heute sind Arma die Taggia dran, das Argentina-Tal, der Teglia-Pass und zum Abschluss der Colle d’Oggia von wo aus ich nach Dolcedo fahren will. In Dolcedo habe ich am späten Nachmittag nämlich eine ganz besondere Verabredung. Aber davon später dann mehr. Arma di Taggia ist ein bekannter Badeort mit einer sehenswerten Uferpromenade und einem wunderschönen Strand. Das schnuckelige Kirchlein, direkt an der Uferpromenade, ist „San Giuseppe“. Hier befindet sich die Statue von Sant Erasmo, dem Schutzheiligen der Fischer, die bei Prozessionen immer feierlich aufs Meer hinaus gefahren wird. An der Decke der Kirche kann man ein Fresko sehen, das „San Giuseppe“, also den Zimmermann Josef, zusammen mit Maria und Jesus in seiner Werkstatt zeigt. Zwei Kilometer nördlich von Arma die Taggia liegt Taggia. Wahrzeichen der Stadt ist eine 200 Meter lange mittelalterliche Brücke über den Argentina. Wenn man diese so sieht und dahinter die supermoderne gigantische Brücke der Autobahn, dann kann man sich über die „Baukunst“ der Italiener schon etwas wundern. Am Argentina tut sich was. Denn obwohl’s die Italiener mit Umwelt und Umweltschutz ja nicht so haben, entstanden hier, wie auch an anderen Flussmündungen und Sumpfgebieten Imperias, Naturschutzgebiete. Außer Enten und Gänsen ist aber noch nicht viel zu sehen am Argentina. Dennoch: Es ist ein Anfang. In Taggia sollte man sich unbedingt das 1490 errichtete Kloster San Domenico ansehen. Da kommen auch Kirchen- und Klostermuffel auf den Geschmack. Das Hauptportal ist ziert eine Pieta aus Marmor. Der Kreuzgang ist geschmückt mit zahlreichen Gewölbefresken, welche die Geschichte des heiligen Dominikus zeigen. Getragen wird der Kreuzgang von 24 erstaunlich schlanken Rundsäulen. In der Klosterkirche fällt vor allem eines auf, wenn sich die Augen an das Dunkel gewöhnt haben. Es ist das Dekor von Giovanni Donato de Montorfano, das mich selbst unweigerlich an eine orientalische Moschee erinnert.

Bleibt man auf der Staatsstraße 548, erreicht man nach wenigen Kilometern Badalucco. Das Argentina-Tal ist hier so schmal, dass die Häuser exakt den Windungen des Flusses folgen müssen. Zwischen Häuser und Fluss quetscht sich dann auch noch die enge Straße. Am Ortsanfang gibt es diese schmale Bogenbrücke. Die ist besonders deshalb interessant, weil man auf einen ihrer Stützpfeiler die kleine Kapelle Santa Lucia gebaut hat. War wohl sonst kein Platz mehr im engen Tal. Nur 3 km weiter taucht auf einer Bergspitze Montalto Ligure auf. Zentrum des Ortes ist die Kirche „San Giovanni Battista“. Unter anderem sieht man hier ein Altarbild von Ludovico Brea, das den heiligen Georg darstellt. Aber auch die andere Schmuckstücke sollten nicht unbeachtet bleiben, interessante Figuren und vor allem die wundervolle Decke.

Hexen


Wo die Nebelschwaden manchmal tagelang an den Bergen kleben, wo man gar gruselige Geschichten erzählt, da ist Molini di Triora. Ein Ort voller Magie und Hexenkult. Aber keine Sorge. Die Hexen dieser Gegend sind allesamt gute Hexen. Vertraut mit jahrhundertealten Geheimrezepten heilen sie Husten und Heiserkeit, Kreuzschmerzen und Liebeskummer, aber auch Impotenz. Manche Hexen heilen durch Handauflegen, andere haben das zweite Gesicht.

Die berühmteste Vertreterin Ihrer Zunft findet man hier. In einem Laden, der vollgestopft ist mit allerlei Krimskrams und lokalen Spezialitäten und ausgeschmückt mit Disteln und Eichenzweigen. Hier verkauft sie verschiedene Arten von eigenhändig hergestelltem „Zaubertrank“ und grausige Erinnerung an die Vergangenheit. Angela-Maria Zucchetto, dank Fernsehen, Internet und Zeitung Italiens wohl bekannteste Hexe. Hier im Tal ist sie eine Institution. Angelas Spezialität ist „Latte di Lumacha“ – „Schneckenmilch“ – die sie nach geheimnisvollen Rezepturen selbst herstellt. Jedem, der den Laden betritt, bietet sie davon ein Becherchen an. Ich bin ja nicht abergläubisch, und Angst vergiftet zu werden hab’ ich auch nicht – trotzdem muss ich ablehnen. „Latte di Lumacha“ riecht schon verdammt intensiv nach Grappa – und ich bin mit dem Auto da. Aber eine Flasche für zu Hause nehm’ ich gerne mit. Ich fühl mich so wohl bei Angela-Maria, dass ich sie frage, ob ich von ihr in meinem Diavortrag berichten darf. Sie ist sie so begeistert, dass sie mir gleich noch eine Flasche „Filtro di Streghe“ einpackt. Der Name sagt’s schon: „Filtro di Streghe“. Wieder ein Hexen-Trank! Magie und Hexenkult – das ist Molini di Triora. Selbst in der Pfarrkirche San Lorenzo bleibt man davon nicht verschont. Ich fahr’ weiter. Vom Regen in die Traufe.

Im 5 km entfernten Triora wird sogar mittels Verkehrszeichen auf Hexen hingewiesen. Also am besten Fenster zu lassen und ja nicht den Motor abwürgen. Nee, Quatsch, sind ja gute Hexen. Im 16. Jahrhundert sah man das nicht so, da war hier in Triora ein schrecklicher Hexenprozess. Angela-Marias Ur- Ur- Ur-Ahnin Francescina Chioceto war direkt betroffen. Ihr Vergehen war, dass sie sich mehrfach am Sabbat und dazu noch bei Nacht mit andern Frauen in Cabotina getroffen hat; etwas außerhalb von Triora. Triora war zu dieser Zeit Kornkammer der Republik Genua. Als dann 1587 eine Hungersnot hereinbrach, waren die Schuldigen schnell gefunden. Den Frauen wurde vorgeworfen, sich in Cabotina mit dem Teufel zu treffen, um ihm dort – auf Besen reitend – zu huldigen. Für 13 Frauen, vier Mädchen und ein Kleinkind war das das Todesurteil. Im Heimatmuseum von Triora ist das Inquisitions-Gefängnis nachgestellt. Außerdem finden sich hier zahlreiche Illustrationen aus der Zeit und Kopien der Handschriften des Prozesses. Das Museum sollte man auf keinen Fall versäumen.

Verlässt man Triora und fährt man 3 km weiter kommt man in den kleinen Weiler Loretto. Nichts ungewöhnliches, wäre da nicht rechts die tiefe Schlucht und darüber die gigantische Brücke. 119 Meter hoch! Wer da runter springt, dem hilft kein Zauber, dem hilft auch keine Hexerei. Und doch gibt es immer wieder Wahnsinnige, die das tun! – Freiwillig! Nicht nur einzelne. Sondern bislang über Zehntausend! Mit einem Gummiseil um die Beine gewickelt springen sie runter. Und zahlen dafür dann auch noch 60 €. Dabei werden sie bis zu 90 Stundenkilometer schnell. 10 Meter vor dem Aufklatschen wird dann der Fall auf „Null“ abgebremst – Meistens jedenfalls. Wir sind beim „Outdoor & Bungee Center No. 1“, dem ersten in ganz Italien. Das ist nichts für mich. Ich fahr’ weiter. Vorbei an Weiden, Wäldern und Bauernhäuser – hinein die Welt der Berge in so wunderschöne Weiler wie Creppo, Realdo oder Verdeggia. An der französischen Grenze, kurz vorm Piemont, dreh ich wieder um.

Teglia-Passstraße


Zurück in Molini di Triora beginnt eine der schönsten Pass-Straßen Imperias. Die Straße über den 1387 Metern hohen Teglia-Pass. Bis Andagna geht’s ja noch ganz gemächlich an. Aber nach der Kapelle – ich weiß schon, warum man hier noch mal beten sollte – wird’s heftiger. In engen Serpentinen windet sich die Straße nach oben. Entgegenkommen darf jetzt keiner mehr. Oben am Pass aber hat man eine wundervolle Aussicht auf den Monte Saccarello [2200m], den Monte Mónega [1800m] und den Monte Ceppo [1600m].Auf der anderen Seite des Passes, schlängelt sich die Straße durch ein lichtes Waldgebiet wieder hinunter. Mal fehlt ein Stück Straße. Mal herrscht Gegenverkehr. Ab San Bernado di Conio beginnt dann die einsame Fahrt über den Colle d’Oggia. Ziel immer noch Dolcedo, wo ich doch am Spätnachmittag die Verabredung habe. Dann endlich wieder Zivilisation. Das Städtchen am Fuß des Monte Acquarone erkennt man schon von weitem: Es ist Vasia, der Ort mit dem höchsten Kirchturm weit und breit. Je weiter man vom Pass runter kommt, desto mehr Olivenbäume säumen den Weg. Bäume, die bis zu 800 Jahre alt werden können. Im Frühling blühen die Olivenbäume. Zwischen Dezember und Januar wird dann geerntet. Dann schlagen die Männer mit Stangen gegen die Äste, denn freiwillig geben Olivenbäume ihre Früchte nicht her. Auch die reifen nicht. Wenn ein Baum 5 Jahre alt ist, kann man zum ersten Mal ernten. Am meisten Ertrag hat er im Alter zwischen 35 bis 150 Jahren. Dann kann er es schon mal auf 20 Kilo Oliven bringen. Die frisch geernteten Früchte werden in die Ölmühle gebracht, in einen so genannten „Gombi“ geschüttet und dort erst mal zerquetscht. Dann schichtet man den Brei in einen durchlöcherten Behälter, wo er gepresst wird, bis unten Flüssigkeit rauslauft. Von der muss man dann das Fruchtwasser abtrennen, und schon hat man reines, kaltgepresstes Olivenöl. 3 bis 8 Liter je Baum.

Dolcedo


Am späten Nachmittag erreiche ich Dolcedo. Hier sollen die besten Oliven Imperias wachsen, sagt man. Die Benediktiner, die 1119 die Kirche San Martino gründeten, haben den Olivenanbau in Dolcedo eingeführt. Dolcedo liegt im Tal des Prino-Flusses. 5 Brücken führen darüber. Die größte, und auch heute noch begehbare Brücke, ist die „Ponte die Cavalieri di Malta“, die 1282 von den Rittern des Malteserordens gebaut wurde. „Wer ein Volk kennen lernen will“, hat ein kluger Kopf einmal gesagt, „der sollte seine Küche besuchen.“ Und genau das will ich jetzt tun!

Ich bin eingeladen im Speiserestaurant „Le 4 Porte“. Küchenchef Giovanelli hat mir angeboten, ihm bei der Zubereitung typischer ligurischer Gerichte über die Schulter zu schauen. Seine Zutaten kommen aus der Umgebung und häufig sogar aus der unmittelbaren Umgebung. Zwiebeln, Knoblauch, Rosmarin, Oliven, Majoran, Thymian, Petersilie und Mangold. Dazu das hier produzierte Olivenöl. „Das beste der Welt“, wie Herr Giovannelli immer wieder betont. „Es ist süßlich und duftet nach Äpfeln und Mandeln. Weil es besonders wenig Säure hat, ist es besonders bekömmlich.“ Die ligurische Küche ist eine geschmacklich reiche und vor allem eine sehr gesunde Küche. Heute gibt es Coniglio alla Ligure – Kaninchen auf ligurische Art. Dazu wird das Kaninchen zuerst mal gewaschen, in kleine Stücke zerhackt und von den Knochensplittern befreit. Ein bisschen Rosmarin dazu und dann werden die Stücke bei mittlerer Hitze von allen Seiten gut angebraten. In Olivenöl und Butter. Wenn das Fleisch Farbe angenommen hat, gibt Herr Giovanelli Lorbeer dazu, Knoblauch und Salbei und lässt das Ganze einige Minuten braten. Anschließend wird der Pfanneninhalt mit einem halben Liter Rotwein angegossen und bei kleiner Flamme zugedeckt geköchelt. Nach etwa 30 Minuten kommen Tomaten und Pinienkerne dazu, und kurz bevor die Pfanne vom Herd genommen wird, schwarze Oliven, natürlich die aus Dolcedo. Derweil das Kaninchen auf dem Herd ist, bereitet Herr Giovanelli ein Risotto vor. Und Nachtisch. Und alles für mich! Herr Giovanelli meint, wenn schon, denn schon. Sechs Gänge stehen auf der Karte. Das kann ein langer Abend werden .

Mann, ist das gestern spät geworden. Aber das Rissotto und die Anchovis, das Kaninchen und die Artischocken, das Mangoldgemüse und der Nachtisch, das war ja so was von lecker. Nicht zu vergessen der köstliche Rosesse aus Dolceacqua. So habe ich also erst mal ausgeschlafen. Zum ersten mal im Urlaub! Bis sechs!

Imperia


Heute steht Imperia auf dem Plan, und mit Imperia meine ich heute die Stadt Imperia. Sie wird gebildet aus den beiden Ortsteilen Oneglia und Porto Maurizio. Mein erstes Ziel ist Oneglia. Hier war der Wohnsitz des weltberühmten Clowns Adrian Wettach. Sie kennen Adrian Wettach nicht? Das ist doch „nit mööööglich“. Immer noch nicht „geschnackelt“? „Nit mööööglich“ war das Erkennungszeichen des Clowns „Grock“. Na seh’n Se. Und Grock und Wettach sind ein und dieselbe Person. Grock war von Imperia so begeistert dass er 1927 am Cascine Hügel ein Grundstück kaufte und eine Villa bauen ließ. Mit 50 Zimmern. Er nannte die Villa nach seiner Adoptivtochter „Villa Bianca“. Alles war reich ausgestattet mit Marmor und mit aufwändigen Dekorationen. Im phantasievoll angelegten Garten fand man alles, was Grock als schön empfand: Stilelemente aus dem Orient, aus dem Barock, aus dem Rokoko und aus dem Jugendstil. 1959 aber begann der Niedergang. Nach dem Tod ihres Vaters hat Bianca das Anwesen verkauft. Dazu alle Erinnerungsstücke an den begnadeten Clown. Heute gehört die Villa der Provinz Imperia, die eine Touristen-Attraktion d´raus machen will. Aber wollen ist das eine, und handeln ist das andere. Bisher wurde nur „gewollt“.

Vom Gascini-Hügel fahr ich runter zum Hafen von Oneglia. „An der Uferpromenade Oneglias, direkt beim Hafen, steht neben antiken Fischerhäusern der Doria-Palast“, steht in meinem Reiseführer. Andrea Doria wurde hier geboren. In diesem Haus – oder zumindest an diesem Platz. Das war 1466. 26 Jahre bevor Kolumbus Amerika entdeckt hat. Nachdem Andrea Doria zunächst bei verschiedenen Herrschern in Dienst war, wurde er 1528 Gouverneur der Republik Genua. 1538 kehrte er nach Oneglia zurück, wo er bis ins hohe Alter von 94 Jahren lebte.

Zum Abschluss meiner Stippvisite in Oneglia besuche ich die Kirche „San Giovanni Battista“. Liegt zufälligerweise am Parkplatz. Die Kirche ist ein Traum. Ich hätt’ ich mich geärgert, wenn ich die verpasst hätte. Eine Kirche, die wohl weniger besucht wird und die in keinem Reiseführer steht.

Auf dem Hügel der Altstadt steht die größte Kirche Liguriens: der Dom von San Maurizio. Er wurde am Rand der Altstadt erbaut und ist ein echter Protz-Bau. Um 1800 herum wollte man den benachbarten Ortschaften einfach zeigen, wo sich das politische und religiöse Zentrum der Provinz Imperia befindet. Der Dom ist im neo-klassizistischen Stil gehalten und beeindruckt nicht nur von außen, sondern vor allem auch innen. Kunstkritiker loben die Stilreinheit des Baus, kritisieren aber die „unorganisierte“ Kuppel. Und genau die ist´s, die mich fotografisch besonders herausfordert. Vor der Kirche steht die Statue San Leonards, des Schutzpatrons von Imperia. Der Franziskanermönch ist vor allem wegen seiner flammenden Predigten bekannt, die er mit viel Theatralik und viel Pattethik hielt. Im geistlichen Bereich liegt sein wichtigster Beitrag in der Verbreitung des „Kreuzwegs“, den er in seiner heutigen Form bekannt gemacht hat. D.h.: Andachten an 14 Stationen der Passion. 1796 wurde Leonard selig- und 1867 heiliggesprochen.

Briscola


Nach so viel Kunst und Kirche besuche ich in der Altstadt Imperias eine kleine Bar und sitze fest. Mit Aldo und Giovanni verbringe ich den halben Nachmittag. Wir ratschen, essen, spielen Karten – und trinken Bier. Das Kartenspiel „Briscola“ hab´ ich bis heute nicht verstanden. Ich weiß nur, dass jedes Mal, wenn ich keine Karten mehr hatte, die Wirtin Aldo, Giovanni und mir ein neues Bier bringt. Auf meine Rechnung, versteht sich. Ne Zeit lang ist das ja lustig, aber für „Briscola“ bin ich wohl nicht ausreichend trainiert, also verlass’ ich die Runde und mache einen ausgedehnten Spaziergang durch Imperia Porto-Maurizio.

Auch hier wieder, Blumen, Blumen und nochmals Blumen: Heckenrosen und Bougainvilleas, Kakteen und Sträucher, die ich noch nie gesehen hab. Oder haben Sie schon jemals von einem Zitronen-Zylinder-Putzer gehört? Sind das jetzt Winden oder Hängebetunien? Selbst Orangen wachsen hier in Imperia. Schließlich bin ich am Hafen.

Der lange Spaziergang hat mir richtig gut getan. Die Promillegrenze in Italien liegt nämlich bei 0,5%. Da geh ich kein Risiko ein! Andererseits, ich hätt’ ja ich auch Zug fahren können. Porto Maurizio ist nämlich eine der vielen Bahn-Stationen in Imperia. Von der französischen Küste bis rüber nach La Spezia sind nahezu alle Küstenorte an die Bahn angebunden. Die Züge fahren stündlich und sie sind erheblich billiger als in Deutschland. Dazu gehört die zum Teil noch eingleisige Küstenstrecke zu den reizvollsten Bahnstrecken ganz Italiens. Ständig am Meer entlang, seit neuestem allerdings häufig versteckt in einer ganzen Reihe Tunnels.

Ins Impero- und Arroscia-Tal


Heute steht die letzte Tour an ins imperische Hinterland. Ich möchte ins Impero- und ins Arroscia-Tal und nachmittags dann nach Cervo. Der Tag beginnt in Chiusavecchia, einem ländlichen Dorf im unteren Impero-Tal, am Rande der Staatsstraße 28. Weil ich im Urlaub aber lieber über Landstraßen fahre als über die Schnellstraßen und durch Tunnels, verlasse ich kurz hinter Chiusavecchia die Staatsstraße 28 Richtung Colle San Bartolomeo. Wundervolle Dörfer belohnen mich. Cenova ist bekannt als Ort für Steinbearbeitung und Rezzo kann sich auf reiche Fanggründe für Süßwasserfische berufen. Plötzlich bin ich am Teglia-Pass. Das war nicht geplant. Da bin ganz schön vom Weg abgekommen. Wär’ doch besser gewesen, auf der Schnellstraße zu bleiben – trotz all der Tunnels. Also das Ganze wieder zurück bis Cesio und von dort aus versuchen, das Aroscia-Tal zu finden.

Ich hab’s endlich gefunden. Pieve di Teco ist der Hauptort des Aroscia-Tals und seit je her ein wichtiges Wirtschaftszentrum. Das ehemalige Augustinerkloster stammt aus dem 15. Jahrhundert. Bemerkenswert sind die 24 achteckigen Säulen, die den Kreuzgang stützen. Eine Besichtigung der Innenräume ist leider nicht möglich. Dafür komme ich in der Gemeindekirche „San Giovanni Battista“ voll auf meine Kosten. Die Kirche ist eine wahre Kunstgalerie.

Colle di Nava


In Richtung Colle di Nava reiht sich ein wunderschönes Dorf ans andere. Alle in alpiner Landschaft. Acquético mit seinen beiden Kirchtürmen hat mich besonders beeindruckt.

Für Weinliebhaber dürfte Pornassio interessant sein, ein Dorf an der ehemaligen alten Salzstraße. Hier wächst die berühmte Dolcedo-Rebe. Grundlage für den nicht weniger bekannten Ormeasco-Wein. Mindestens 95% der Trauben müssen Dolcedo-Trauben sein, nur dann darf sich der Rosé- oder Rotwein „Ormeasco“ nennen. Eine Rast im Castello ist daher Pflicht. Hier kann man den edlen Tropfen verkosten – und dazu hervorragend essen. Als Autofahrer kann ich mich leider nicht festbeißen, aber ein Fläschchen mitnehmen, kann ich schon. Mit diesem Souvenir im Kofferraum fahre ich über die Staatsstraße 28 wieder nonstop zurück nach Imperia-Stadt und von dort aus auf der Küstenstraße weiter nach Cervo. Was sich so dramatisch anhört, ist eigentlich ein Klacks. Für die 54 km braucht man grad mal ne Stunde.

Cervo


Cervo ist mein absoluter Lieblingsort an der Riviera. Er liegt auf einem Hügel am Rande Imperias, an der Grenze zu Savona. Hier gibt´s keine Autos und keine Hektik. Dennoch sind Meer und Strand zum Greifen nah. Oben sieht man die Kirche „San Giovanni Battista“, daneben das „Oratorio San Katharina“. Das Auto stellt man am besten am Castello ab. Dann geht’s hinein in den mittelalterlichen Altstadtkern. Zu Fuß, versteht sich. Unter Mauerbögen hindurch verlaufen unzählige Treppengassen labyrinthartig durch den Ort. Ich kann nicht sagen, was ich faszinierender finde: Die Mauerbögen in der Via Grimaldi Salneri oder die offenen Plätze wie diesen hier in der Via Romana. Cervo ist selbst in der Hochsaison nahezu Touristen-frei. Dafür gibt’s aber unzählige Katzen. Beides liebe ich! Ruhe und Katzen. In Cervo gibt’s wundervolle kleine Geschäfte mit Kunsthandwerk und mit jeder Menge Spaß. Verlaufen kann man sich nicht. Trotz des wirren Labyrinths von Gassen. Eh man sich versieht, ist man nämlich schon wieder draußen, beispielsweise am „Porta Canarda“, dem südlichen Stadttor. Also wieder zurück. Ich habe noch längst nicht alles gesehen. Das „Oratorio Santa Katharina“ nicht und auch nicht die „Clavesana-Burg“, die hoch über Cervo auf einem Hügel thront. Hier ist ein kleines Heimatmuseum untergebracht. Zu sehen sind zahlreiche Gebrauchsgegenstände und Dinge aus dem Arbeitsalltag sowie Nachbildungen von Werkstätten und Fertigungsmethoden. Alles sehr anschaulich und lebensnah.

Ein Muss in Cervo ist die Kirche „San Giovanni Battista“. Sie ist eine der schönsten Barockkirchen Liguriens. Allerdings ist sie wegen Renovierungsarbeiten häufig komplett eingerüstet. Die Kirche entstand auf Betreiben von Cervos Bewohnern, die durch Fischfang und Korallenhandel zu Reichtum gekommen waren. Gebaut hat sie Giobatta Marvaldi. Es gibt so viele wunderschöne Plätze in Cervo, der allerschönste aber ist die Terrasse des Cafes Serafino, hoch überm Meer. Zumindest für mich. Wenn man hier sitzt und seinen Cappuccino trinkt, dabei aufs Meer hinaus sieht, dann vergisst man die Welt, dann vergisst man die Zeit, dann vergisst man alles und übers Träumen ist es Abend geworden. Morgen ist mein allerletzter Urlaubstag und ich war noch nicht einmal so richtig am Meer. Was ich dort so alles erlebte, lesen Sie hier.


LIGURIEN
HAUPTGRUPPE BERICHTE


3 Reaktionen zu “Enge Täler, weites Meer – Ein Sommer in Imperia”

  1. Heinz Grote

    Vielen Dank für den interessanten Bericht. Ein kleiner Hinweis: bei der Weinsorte unter Colle di Nava müsste es sich eigentlich um die Dolcetto Sorte handeln, die m.E. mit dem Ort Dolcedo in keinem Zusammenhang steht.

  2. Rüdiger

    Hallo Heinz,
    vielen Dank für den Hinweis. Kann durchaus sein, dass die Rebsorte auch Dolcetto heißt. Ich bin kein so guter Weinkenner und ich habe das, was mir die Einheimischen erzählten, nach bestem Wissen und Gewissen niedergeschrieben. Deshalb: Vielen Dank für deine Anmerkung!

  3. hashim

    goooooodddddddddd

    Hashim al-Kaabi