Züge, Zoos und Zärtlichkeit 5
Donnerstag, 15. August 2019
Fahrt Richtung Osten
Heute haben wir ein bisschen länger geschlafen. Um kurz vor acht geht’s los Richtung – wohin? – das will ich jetzt noch nicht verraten, nur so viel, dass wir heute Abend in Kranichfeld zu einer Open-Air-Veranstaltung wollen. Momentan ist´s trüb und es scheint überhaupt kein guter Tag zu werden. Die Nachrichten haben Gewitter angesagt mit Sturmböen, Hagel und dem ganzen Kram. Trotzdem fahren wir los.
Doch der Tag selbst fängt schon mal richtig schlecht an. Bereits bei der Auffahrt zur A7 am Kasseler Kreuz Richtung Norden haben wir Stau. Gottseidank können wir die A7 nach 7 km aber wieder verlassen. Auf der B7 geht´s nun deutlich flotter voran. 10 Minuten später kommen wir bei Helsa auf die B 451. Zehn vor 9:00 Uhr sind wir in Eschwege. Nachdem wir die Werra überquert haben, liegen die Felder rechts voll mit Müll. Sieht aus wie nach einem Open-Air-Konzert. Ob das mit der Veranstaltung „Musik am Marktplatz“ zusammenhängt, die heute stattfindet, weiß ich nicht.
Auf der B 249 geht´s flott weiter bis kurz vor Wanfried, wo ich wegen zwei Rehen, die die Straße kreuzten „voll in die Eisen“ steigen muss. Zum Glück funktionieren die Bremsen des Panda gut und zum Glück war hinter mir niemand. Also außer kurzem Stress nichts passiert.
Eichsfeldener Kreuz
Wir biegen dann kurz vor Wanfried links ab auf die Kreisstraße K13/K115 Richtungen Lengenfeld unterm Stein. Nach 3 km kommen wir auf einer Anhöhe an eine Stelle, die mich zwingt, anzuhalten und auszusteigen. Wir sind am Eichsfelder Kreuz an der Grenze zwischen Hessen und Thüringen und zugleich auch der ehemaligen Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten. Bevor die Innerdeutsche Grenze errichtet wurde, sind die Eichsfeldener immer auf den Hülfensberg gepilgert, was nach der Teilung Deutschlands nicht mehr möglich war. Aus diesem Grund bauten die Eichsfeldener einen – ich nenne es mal – „Behelfs-Pilgerweg“ entlang der Straße Richtung Grenze. Am 14. Juni 1980 wurde in unmittelbarer Nähe der Grenzanlagen ein steinernes Kreuz errichtet, zu dem nun ersatzweise die Prozessionen führten. Nach der Grenzöffnung wurde hier in den Jahren 1992–1993 die Kapelle der Einheit gebaut und geweiht.
Als junger Mensch hat mich die DDR und das ganze Zeug drum rum nicht weiter interessiert, aber jetzt hier, wo sich ganz offensichtlich Tragödien abspielten und Menschen für die Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzten, bin ich tief betroffen. Viel, viel mehr als damals während des Studiums in Berlin, wo ich an der Sonnenallee direkt an der Mauer wohnte.
Lengenfelder Viadukt
6 km weiter sind wir um 9:24 Uhr am Lengenfelder Viadukt, einer Eisenbahnbrücke, die zur ehemaligen Bahnstrecke Leinefelde, Eschwege, Spangenberg, Malsfeld, Homberg (Efze) und Treysa gehörte. Wir parken direkt darunter am Parkplatz neben der Feuerwehr. Die Brücke wurde zwischen Juni 1877 bis August 1879 gebaut und war Teil der Kanonenbahn, einer militärstrategischen Eisenbahnstrecke, welche die deutsche Hauptstadt Berlin mit dem französischen Metz verband (Metz gehörte damals noch zum Deutschen Reich).
Die Brücke, die zum Wahrzeichen Lengenfelds unterm Stein geworden ist, besteht aus 6 Fischbauchträgern mit je 33,3 m Länge und zwei Kastenträgern von je 17 m Länge. Wie man in Google Maps gut sehen kann, liegt die 244 m lange und 24 m hohe Brücke in einer Kehre, die fast 200° ausmacht. Das Gleis auf der Brücke hat eine geringe Steigung von 1:110.
Ursprünglich war die Brücke eingleisig, 1907 (ein Vierteljahrhundert später) zweigleisig und 1920 auf Betreiben der Interalliierten Militärkommission, welche den militärischen Nutzen reduzieren wollte, wieder zurückgebaut auf eingleisig.
1945 wurde der Bahnverkehr aufgrund der innerdeutschen Grenze unterbrochen und danach nie mehr aufgenommen. Nach der Maueröffnung 1989 hätte sich eine Sanierung der in die Tage gekommenen Brücke nicht mehr gelohnt. Eigentlich wollte man das Bauwerk danach zurückbauen, was jedoch verhindert wurde, da das Viadukt als Technisches Denkmal eingestuft wurde. Seit 2006 wird die Brücke touristisch genutzt. Zu Preisen zwischen rund 50€ und 120€ kann man sich Draisinen für 2 bis 7 Personen mieten und – will man das Viadukt überqueren – kräftig in die Pedale treten. Eine Überquerung des Viadukts zu Fuß ist verboten.
Mittelpunkt Deutschlands
Nach etwas mehr als einer Stunde sind wir der Ansicht, genug gesehen zu haben und fahren weiter Richtung Osten. Wir willen zum „Mittelpunkt Deutschlands“. Das kommt uns etwas spanisch vor, schließlich sind wir doch schon mächtig weit im Osten.
Den Mittelpunkt eines Landes kann man mittels verschiedener Methoden festlegen, die alle mehr oder weniger willkürlich sind und deren Ergebnisse z. T. erheblich voneinander abweichen.
- Eine Möglichkeit ist die sogenannte Schnittpunktermittlung. Dabei werden der nördlichste Punkt Deutschlands und der südlichste Punkt mit einer Linie verbunden und ebenso der östlichste und westlichste Punkt. Dort wo sich die Linien kreuzen ist der gesuchte Mittelpunkt. Mit dieser Methode kommt man auf die GPS-Daten 51.220915, 09.357579. Diese Stelle liegt in der Gegend von Edermünde etwa 13 km südwestlich unseres Hotels in Kassel.
- Eine weitere Möglichkeit, den Mittelpunkt eines Landes festzulegen, besteht darin, eine Landkarte auszudrucken und dann den Schwerpunkt dieses zweidimensionalen Landkartenmodells zu bestimmen. Mit dieser Methode kommt man auf die GPS-Daten 51.133333, 10.416667. Diese Stelle liegt etwa 3,4 km südlich des Brauereigasthofs Marktmühle in Oberdorla.
- Man kann Deutschland aber auch so in eine rechteckige Kiste legen, dass die Längen- und Breitengrade parallel zu den Kisten-Wänden liegen. Sucht man dann die Mitte der Kiste, kommt man zu den GPS-Daten 51.163361, 10.447694. Diese Stelle liegt am Südufer des Sitternbachs etwa 500 m nördlich von Niederdorla. Und weil man da einfach richtig gut Parken kann, ist das UNSER Mittelpunkt Deutschlands.
Es gibt keine wissenschaftliche Definition darüber, wo nun wirklich der Mittelpunkt eines Landes ist. Es bleibt also eine Spielerei. Aber warum soll ein sonst unbekannter Ort nicht eine der Methoden ausnutzen, eine Gedenktafel aufstellen, aus der Anonymität heraustreten und Touristen anlocken? Wir jedenfalls fanden es toll, genau am Mittelpunkt Deutschlands zu stehen, mitten in der „Schachtel“.
Fahrt nach Eisleben – Blitz
Über den Nationalpark Hainich fahren wir südlich Richtung Eisenach. Hier soll es vor zwei Wochen eine Sensation gegeben haben, als angeblich ein Goldschakal in eine Fotofalle geraten sein soll. Die Zeitungen überschlugen sich. Das eng mit dem Wolf verwandte Tier gibt es hier nämlich nicht. Es ist eigentlich auf dem Balkan heimisch, breitet sich aber seit Jahrzehnten immer mehr nach Westen aus. Am Südende des Hainich geht es serpentinenartig hinunter nach Eisenach und Eisenach zeigt sich von seiner schlechtesten Seite. Mehr nicht aufeinander abgestimmte Ampeln kenne ich von nirgendwo Rot, rot, rot. Dazu kommt, dass man die Waldgaststätte bei der Sängerwiese mit dem Auto gar nicht erreichen kann, davon habe ich auf der Homepage nichts lesen können. In Google Maps wird auf die Nicht-Erreichbarkeit auch nicht hingewiesen. Dort kann man die Anfahrt ohne Einschränkungen planen. Irgendwie fühle ich mich verarscht.
Als ob das nicht genüge. Auf dem Weg zur Waldgaststätte, auf der B19 in Höhe der Drachenschlucht, bin auch ich in eine Fotofalle geraten. An dieser Stelle geht die Straße geht leicht bergauf durch den Wald. Man fühlt sich – nachdem man zuvor nur durch rote Ampeln geärgert wurde – schon wie auf einer Landstraße außerhalb der Stadt. Und genau dort wird – ohne dass dort (zumindest meiner Erinnerung nach) ein 50er-Schild steht – geblitzt. Die Einheimischen haben sich offenbar daran gewöhnt, nicht jedoch die Touristen – und genau die, so mein Eindruck – will man hier abzocken.
Dabei bin ich – wenn überhaupt – kaum schneller als 50 gefahren. Sei es, wie es sei. Am 17.9.2019 jedenfalls erhielt ich von der Stadt Eisenach ein Schreiben: „Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 7 km/h.“ Dafür wollen sie 15 €.
Frustriert fahre ich weiter die B19 hoch bis zum Grill „Hohe Sonne“ am Rennsteig. Vielleicht kann man da was essen. Aber der Kiosk ist nicht gerade einladend und die Toiletten am Parkplatz sind defekt. Dazu kommt, dass es kalt ist und regnet. Meine Laune – und ich denke auch die von Susanne – sind auf null. Ich bin froh, als ich um kurz vor 13:00 Uhr Eisenach endlich hinter mir habe und auf die A4 Richtung Dresden/Görlitz auffahren kann.
Eisenach wird für mich zu einem der Orte werden, zu denen ich wohl nie mehr zurückkehren werde. Dafür hat sich der Ort mir gegenüber in vielen Belangen zu negativ gezeigt.
Metaxa Waltershausen
Langsam knurrt auch der Magen. Nach 7 Minuten und 15 Kilometern kommt Susanne eine glänzende Idee. Waltershausen! Da fahren wir hin! Schließlich heißt Susannes Bruder Walt(h)er und das – so Susanne – muss doch ein gutes Omen sein. Wir fahren bei der Ausfahrt 41a ab nach Waltershausen, links ein Industriegebiet, rechts Wiesen. Am Ortsrand dann ein Hinweisschild: Metaxa 1,9 km. Das hört sich nach einem Griechen an!
Wir sind in Waltershausen schon ewig unterwegs, rechts der Rewe, aber nirgendwo der Grieche. „Jetzt wart halt mal ab“, meint Susanne, „das waren noch keine 1,9 km!“ Und sie hat recht! Am Ende der Straße, genau gegenüber dem Rewe, fahren wir direkt auf das Metaxa zu. Wir stellen das Auto in der Ibenhainer Straße ab und gehen die 200 m zu Fuß zurück.
Als ich die Karte sehe, fall ich vom Glauben ab. Alle Mittagsgerichte weit unter 10€!
Ich bestelle mir Bifteki (6,50€) und Susanne Suflaki (6,90€). Was dann aufgetischt wird, haut mich um.
Auf den Punkt gegart, sehr saftig mit tollem Grill-Aroma. Selten was Besseres gegessen, dazu ein super freundliches Personal! Susanne hatte recht gehabt mit dem „guten Omen“. Da kann man den Frust aus Eisenach schon fast vergessen. Ich bin sogar richtig froh, dass wir nicht zum Waldhaus gekommen sind, so wäre uns ein kulinarisches Highlight doch glatt entgangen.
Zum Nachtisch essen wir noch griechischen Joghurt mit Walnüssen und Honig. Ein wahrliches Gedicht! Dazu gab´s für jeden noch ´nen Ouzo, den ich als Fahrer aber leider nicht trinken konnte. Die Lebensfreude ist wieder da. Scheiß auf den Strafzettel aus Eisenach, der irgendwann in den nächsten Wochen eintreffen wird. Gegen halb drei fahren wir weiter.
Um 15.00 Uhr ist in Kranichfeld Greifvogelschau, laut Navi soll man 36 Minuten dorthin brauchen. Das wird knapp!
Greifvogelschau
Gegen 15:15 Uhr kommen wir in Kranichfeld an und finden einen Parkplatz auf der Wiese des Geländes, wo wir heute Abend zu der Open-Air-Veranstaltung wollen. Natürlich ist die Greifvogelschau schon in vollem Gange, als wir ankommen. Trotzdem dürfen wir noch rein. Es regnet, aber die Greifvogelschau findet trotzdem statt. Ob auch die Open-Air-Veranstaltung heute Abend stattfinden wird?
Der Andenkondor, ein mächtiger Vogel, der bis zu 3,10 m Spannweite und 15 kg Gewicht erreichen kann, kommt den Zuschauern mitunter sehr nahe. Schütz meint, man brauche keine Angst zu haben, da diese Tiere nur Aas fressen. „Also immer bewegen, dass der Vogel nicht auf dumme Gedanken kommt“. Mag sein, dass er das lustig findet, darüber kann man aber geteilter Meinung sein.
Gut finde ich, als er erklärt, dass der Kondor gar kein Greifvogel sein soll, sondern eher vom Storch abstamme. So was habe ich auch schon mal gehört. Darüber gab´s in der Süddeutschen sogar einen Artikel. Man könne – so Schütz – die Verwandtschaft mit dem Storch u. a auch an der Form der Schwingen erkennen.
Zum Schluss zeigt uns Schütz noch einen Gerfalken. Gerfalken sind die größten Falken überhaupt. Seit dem Mittelalter werden sie als Jagdfalke sehr geschätzt. Besonders die weißen gelten als sehr wertvoll. Aus diesem Grund standen und stehen sie regelmäßig auf den Geschenke-Listen bei Staatsbesuchen.
Alles in allem macht Herbert Schütz seine Vorführung sehr spannend und informativ, pädagogisch aber absolut miserabel. Er brüllt viel und er stellt Leute bloß, die falknerisch natürlich nicht so viel drauf haben wie er. Erwachsene können das vielleicht noch ab, aber Kinder werden durch Äußerungen wie „Der Kondor beißt“ und „Die erste Bank ist die Schlachtbank“ zumindest meiner Meinung nach – verängstigt. Auch dass er Kinder anbrüllt: „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst sitzen bleiben!“ finde ich nicht so gut.
Schütz‘ Anekdoten gehen nicht aus. So soll auf seinem Geländer auch ein Hahn leben, der – nachdem der Fuchs alle seine Hennen geholt hat – nun im Kirschbaum übernachtet.
Open-Air-Konzert im 3500-Einwohner-Dorf Kranichfeld
Jetzt kann ich´s ja rauslassen. Heute haben wir hier in Kranichfeld etwas vor, von dem wir im Leben nie geträumt hätten, dass wir uns das jemals antun würden. Hier, in diesem 3500-Einwohner-Ort im Süden des Landkreises Weimarerland tritt heute Abend nämlich ein Schnulzen-Sänger auf, der sich – wie kein anderer – in die Herzen der 60plus-Generation geschmachtet hat. In einem Interview mit der BILD-Zeitung, so die Westfälische Rundschau, soll er mal gesagt haben „Ich fühle mich geehrt, wenn man mich Schnulzensänger nennt… Schnulzen haben etwas mit Romantik zu tun.“ und weiter „Wer soll für sie (gemeint sind die über 60-Jährigen) singen, wenn nicht ich?“ Wahre Fans wissen, von wem ich rede, von Semino Rossi.
Der Veranstaltungsort ist nur 100 m entfernt vom Adler- und Falkenhof Schütz, allerdings dürfen wir erst um 17:30 Uhr rein. Nicht so schlimm, denn – da wir bereits heute Nachmittag um Viertel nach Drei hier waren, haben wir einen kostenlosen Parkplatz (da war der Veranstalter noch gar nicht da!) direkt auf dem Kranichfelder Wiesenparkplatz, nur weitere 100 m vom Adler- und Falkenhof entfernt.
Bis wir aufs Open-Air-Gelände dürfen (immerhin noch 75 Minuten) gehen wir runter ins Dorf. Vielleicht können wir noch irgendwo Kaffee trinken und was essen. Und obwohl sich im Ort sprichwörtlich „Hund und Katze Gute Nacht sagen“, finden wir doch was. In der „Bäckerei Veit Flassig“ gibt´s Kaffee für uns beide, Nussecke für Susanne und Vollkornbrötchen für mich. Außer uns sind noch zwei Einheimische in der Bäckerei, die ich wohl besser nicht hätte angesprochen, denn nun kaut mir der Mann (die Frau wusste wohl, was kommt, und ist gegangen) „das Ohr blutig“.
Um 17:30 Uhr schließt die Bäckerei. Genau richtig, nach oben zu gehen. Überall ist nun Semino-Rossi-Zeit, davon zeugen auch die Halteverbots- und Veranstaltungsschilder im Auenweg.
Semino-Rossi -Konzert
Als wir hoch kommen, dürfen wir auch gleich rein. Die Open-Air-Bühne bietet Platz für 1450 Zuschauer, noch aber sind wir vergleichsweise allein. Lustig ist, dass fast jeder eine Diskussion anfängt, weil man in dem wirklich schlecht beschrifteten Veranstaltungsort nicht erkennen kann, ob „Reihe 15 rechts“ nun rechts ist aus Sicht der Zuschauer oder rechts aus Sicht der Sänger. Wir haben „Reihe 15 rechts, die Plätze 7 und 8“ und sitzen – aus Sicht der Zuschauer – richtigerweise links. Darauf muss aber auch erst mal jemand kommen.
Inzwischen haben sich die Reihen (fast) gefüllt. Etliche der Gäste sind über 60. Dass man seit Jahren selbst dazugehört will man irgendwie nicht wahrhaben. Pünktlich um 19:00 Uhr beginnt Semino Rossi, begleitet von 2 Backgroundsängerinnen, sein Konzert mit „Aber dich gibt`s nur einmal für mich“. Semino Rossi ist ein Charmeur vor dem Herrn. Anstatt wie andere „Wo sind die Hände“ ins Publikum zu rufen, fragt er fast schüchtern „Singen Sie mit?“ und macht dann selbst weiter mit „Schon der Gedanke, dass ich dich einmal …“. Erst als das Publikum mit „dass dich ein and´rer Mann … “ übernimmt, hält Rossi inne und hält das Mikrophon Richtung Zuschauer und bemerkt: „So schön …“ Nach 2 Minuten herrscht eine Stimmung, wie sie besser nicht sein könnte. Und Rossi singt live (okay zu Halb-Playback), was man immer wieder dann merkt, wenn er lacht oder direkt das Publikum anspricht.
„Ich habe eine Idee. Singen wir gemeinsam eine Lied, das heißt ‚Cucurrucucú Paloma‘. Singen wir gemeinsam. Die Frauen zuerst. Sie singen ‚Ay, ay, ay, ay, ay‘ und dann die Männer ‚Paloma‘. Bittähhh“. Und das Volk singt (jämmerlich) mit, was Rossi lächelnd – an die Männer gerichtet – mit den Worten „Das erfüllt nicht ganz meine Erwartungen“ kommentiert und voller Inbrunst selbst weitersingt „Cucurrucucú, no llores. Las piedras jamás, paloma qué van a saber de amores.“
Der Mann ist ein absoluter Profi, seine Zwischenmoderationen sind sehr humorvoll und nie verletzend. Nach etlichen Liedern, mal bekannter, mal weniger bekannt, verlassen die Backgroundsängerinnen die Bühne.
Semino Rossi wird ganz ruhig, fast schon demütig. Ein Tontechniker reicht ihm seine Gitarre. Semino Rossi stimmt das Instrument und spricht davon, dass heute einer der wichtigsten Feiertage sei, auch in seiner Heimat Argentinien, Asunción – Maria Himmelfahrt, das wichtigste und älteste Marienfest weltweit. Als die ersten Akkorde der Gitarre ertönen, könnte man im Rund eine Stecknadel fallen hören, dann setzt Semino Rossis Stimme ein: „Hay en Rio un monte de chocitas …“ Semino Rossi singt „Ave Maria En El Morro“ – begleitet nur mit Gitarre. Ich bin nicht religiös und ich verstehe die spanischen Worte auch nicht, aber irgendwie bin ich ergriffen.
Seit mehr als einer Stunde schon singt Semino Rossi, ohne Pause. Er wird wohl gar keine Pause machen, und das ist auch gut so. Ich denke, dass die überwiegend älteren Zuschauer – viele haben Schwierigkeiten beim Gehen – sich schwer tun würden, wegzugehen und dann wiederzukommen. So spielt Semino Rossi sein Konzert in einem Rutsch durch.
Als ne Viertelstunde später „Rot, rot, rot sind die Rosen“ angestimmt wird, wissen wir, dass das Konzert wohl nicht mehr lange dauern wird. Die Straße vom Parkplatz runter nach Kranichfeld ist eng und wir wollen weg sein, bevor der Große Run einsetzt und Autos und auch Fußgänger den Auenweg dicht machen. Wir kaufen noch eine CD und einen Kühlschrankmagneten und machen uns auf den Weg. Über 2 Stunden Fahrt liegen regulär noch vor uns. Und wie sehr sich das Navi verschätzen kann, haben wir in den vergangenen Tagen ja mitbekommen.
Heimfahrt
Inzwischen hat es zu regnen angefangen und es ist Kuhnacht. Man sieht so gut wie gar nichts. Nach etwa 10 km – wir brauchen dazu 20 Minuten – erreichen wir die A4. Hier kann man sich wenigstens an den Rücklichtern der Vorausfahrenden orientieren und es geht etwas besser. Am Autohof am Erfurter Kreuz tanken wir auf und dann geht´s weiter Richtung Bad Hersfeld. Die Fahrt ist sehr, sehr anstrengend, weil man ob des Regens so gut wie nichts sieht. Die Straßenmarkierungen sind schon so weit abgefahren, dass man fast keine Orientierung hat. Dazu kommt, dass etliche LKW fahren „wie die Idioten“. Ich fühl mich nicht wohl in meinem Auto.
Ganz schlimm wird es dann im Baustellenbereich auf der Überleitung zur A7 beim Kirchheimer Dreieck.
Ich bin heilfroh, als wir um Viertel nach 11 (ich meine 11 Uhr in der Nacht) die Tankstelle am Lohfeldener Rüssel erreichen, wo wir den Tank für morgen – da wollen wir nach Leipzig – nochmal füllen.
10 Minuten später sind wir im Hotel, wo wir uns in der Bar noch ein „Absacker-Bier“ gönnen. Alles in allem war das heute ein anstrengender, aber super Tag, und dass Semino Rossi ein absoluter Live-Profi ist, hatte ich bis heute nie gedacht. Okay, man muss seine Lieder nicht mögen, aber, dass er was kann, das haben wir heute gesehen.
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