Donnerstag, 22. Dezember 1988
Nach Escalante und Cebu
Es hat die ganze Nacht geregnet. Es gab keine Moskitos und ich konnte wundervoll schlafen. Obwohl es erst 6:00 Uhr morgens ist, bin ich gut ausgeruht und stehe auf. Nach dem Regen heute Nacht ist alles noch feuchter und noch dämpfiger als sonst, so ziehe ich heute die Trekking Schuhe über, dann geht’s in den Times Bake Shop, grad 100 Meter weiter in der gleichen Straße. Dort bekommt man so früh schon etwas zu essen: Zwar nur Nescafé und pappige Brötchen, aber immerhin.
Um halb acht fahr ich dann mit dem Jeepney hoch zum Northern Bus-Terminal, wo um 9:30 Uhr der Express-Bus nach Cebu abgehen soll.
8:30 Uhr früh. Eine halbe Stunde stehe ich schon am Nord-Terminal der Ceres Bus Liner. So im Regen kommt dir das aber viel länger vor. Es hat auch die ganze Nacht geregnet und so wir stehen knöcheltief im Schlamm. Das Gepäck – und auch wir – alles sieht aus wie die Sau. 9:30 Uhr. Cebu steht auf einer Tafel. Aber die Abfahrtszeiten – sie sind mit Kreide angemalt – können ob des Regens (im wahrsten Sinne des Wortes) schon mal leicht „verwischt“ werden. Obwohl es über 20°C haben soll, frier ich wie ein Schneider. Aber wenigstens habe ich schon mal mein Ticket.
Heute ist Halbzeit. Wie schön wär jetzt ‘ne heiße Dusche? Doch so was hab ich auf meiner ganzen Reise noch nicht gesehen. Auf den Inseln duscht man kalt.
Nachher im Bus wird’s dann hoffentlich etwas wärmer und trockener werden.9:00 Uhr. Eben ist der Bus der „Vallacar Transit Inc.“ angekommen mit einem „Cebu-Schild“ vorne hinter der Windschutzscheibe. Ich zeig mein Ticket und darf einsteigen. Mein Rucksack wird von einem kleinen schmächtigen Mitarbeiter unter Aufbietung aller Kraft durch den ganzen Bus hindurch nach rückwärts unters Fenster gewuchtet. Dabei hat er hat sich fast ‘nen Bruch gehoben. Doch tut er fast schon leid, aber es ist sein Job von dem er – und vielleicht auch eine Familie – leben muss. Ich kann nicht anders und drück ihm 1 ₱ in die Hand.
Total durchgefroren und nass hab ich heut erstmals ernsthaft den Gedanken, die Scheiß-Reise abzubrechen. Traum Urlaube können bei Kälte, Regen und knöchelhohem Schlamm leicht Alptraum-Urlaube werden. Noch 20 Tage.
Der Bus ist wirklich ein Super-Luxus-Air-Conditioned-Bus, wie ich ihn auf den Philippinen nicht erwartet hätte. Wirklich klasse! Okay, die Fahrt nach Cebu kostet auch 80 ₱ (6,70 DM), für philippinische Verhältnisse also recht viel. Bei durchschnittlich 28 ₱ Stundenlohn brutto, muss der „gewöhnliche“ Philippine dafür ganz schön lange arbeiten. Ich weiß jetzt nicht, wie viel Steuern auf den Philippinen gezahlt werden müssen. Und was der Bus kann, zeigt der Fahrer aus. Denn anstatt zu heizen, lässt er „volle Pulle die Klima-Anlage laufen. Will der, dass wir alle ‘ne Lungenentzündung bekommen? Ich hab ernsthaft den Gedanken, auszusteigen und Cebu sein zu lassen. Dass ich den Bus-Fahrer auch bitten könnte, den „Froster“ auszustellen, das traue ich mich aber nicht.
9:50 Uhr. Es ist schon 20 Minuten über der Zeit und wir stehen noch immer am Bus Terminal. Keine Ahnung, was los ist. Aber egal, solang ich hier drin trocken sitzen kann. 9:53 Uhr – ich werd’s nicht mehr und hab’ deshalb extra auf die Uhr geguckt – die Türen schließen und der Bus setzt sich in Bewegung. Die Fahrt geht von Bacolod ganz im Westen von Negros über Talisay, Silay, Cadiz und Sagay entlang der ganzen Negros-Nordküste bis nach Escalante ganz im Osten. Der Vorteil des „Express-Busses“ ist, dass er nich an jedem „Misthaufen“ hält, der Nachteil, dass man von den Orten, durch die man fährt, aber auch nichts sieht. Das spielt jedoch heute keine Rolle, da man bei diesem Regen eh nichts sieht.
Überfahrt nach Cebu
12:15 Uhr, Der Bus hat bei einem armseligen Fischerdorf nahe Escalante angehalten. Hier ist die Welt zu Ende, hier ist nur noch Meer. Für die 100 Kilometer bis hierher hat der Bus knapp 2½ Stunden gebraucht. Das ist für philippinische Verhältnisse superschnell. Nur, wo soll hier ein Boot anlegen, geschweige denn eine Fähre, auf die auch ein Bus passt?
Anscheinend geht es aber nicht nur um einen Bus, denn da vorne stehen auch noch zwei. Kein Zweifel, die wollen wohl auch nach Cebu. Planmäßig soll die Fähre um 12:45 Uhr abgehen. Wir haben also noch über eine halbe Stunde Zeit. Ich gehe in den Store, kauf’ mir eine Tüte Erdnüsse und eine Cola. Viel wichtiger aber ist das Gespräch mit den Einheimischen. Auf meine ungläubige Frage, wo wir hier den sind, bekomme ich einhellig die Antwort: „This is Porto Danao, the port of Escalante. The ferry to Cebu will leave in half an hour.” Euer Wort in Gottes Gehörgang.
Inzwischen ist ein vierter Bus dazugekommen. So groß kann die Fähre doch niemals sein! Ein lautes Tuten reißt mich aus meinen Gedanken. Das Nebelhorn! Ich springe auf und laufe nach draußen. Da sehe ich sie: Eine riesige Fähre kommt langsam, aber zielstrebig, direkt auf uns zu. Aber wo will die hier eigentlich anlegen? Es gibt keine Kaimauer, keine Anlegestelle, nichts. Nur eine Straße, die bis ans Wasser führt. Die Fähre wird langsamer und treibt gemächlich näher ans Ufer. Als sie fast da ist, fällt der Anker. Klirrend landet er im Wasser. Die Crew wirft Seile zu den Pollern am Ufer und bindet das Schiff fest. Alles läuft wie am Schnürchen. Die Mannschaft verständigt sich nur mit Rufen und Handzeichen. Das ist schon beeindruckend! Dann wird die Klappe heruntergelassen bis sie auf der Straße aufliegt. Aber irgendwas scheint nicht zu passen. Einer der Männer, der seitlich davon barfuß im Wasser steht, schüttelt den Kopf. Die Seile werden ein leicht gelockert, und die Fähre bewegt sich ein Stückchen vor und dann wieder zurück. Scheinbar suchen sie einen besseren Winkel.
Jetzt aber! – Doch nicht! Die Höhe scheint noch nicht zu stimmen. Die Crew holt Holzplanken, Sandsäcke und Metallplatten. Sie überbrücken damit den Knick. Dann geht es endlich los: Ein Fahrzeug nach dem anderen rollt aus dem Bauch der Fähre. Jeepneys, Lkw, Busse. Es ist der Wahnsinn, wie viele Fahrzeuge da drin Platz hatten. Als alle draußen sind, dürfen die Passagiere von Bord. Manche steigen sogleich in Busse, andere in Jeepneys, viele gehen aber einfach nur zu Fuß.
Dann sind wir an der Reihe. Die Busse fahren als Erstes an Bord, dann die Lkw und die Jeepneys. Tricycles sehe ich keine. Jedes einzelne Fahrzeug bekommt Anweisungen, wo es hinzufahren und dann zu stehen hat. Erst als alle Fahrzeuge sicher verstaut sind, dürfen wir Passagiere einsteigen. Ich gehe natürlich gleich nach oben, um die Aussicht zu genießen. Dann werden die Seile gelöst. Mit einem sanften Ruck fährt die Fähre nach vorn, die Rampe wird hochgezogen und wir legen ab. Es ist 12:50 Uhr.
Wenn alles gut geht, werden wir um dreiviertel drei die Tañon Strait hinter uns gelassen haben und in auf Cebu sein. Vom Hafen von Tabuelan aus sind’s dann mit dem Bus nochmal 85 Kilometer oder 2½ Stunden.
War das Wetter in Bacolod und auf der ganzen Strecke schon nicht gut, auf See ist das Wetter deutlich schlechter geworden. Sintflutartiger Regen, Wind und deutlich spürbare Wellen. Ich geh nach unten, aber man kann sich nicht bewegen auf dem Schiff. Jeder Schritt ist eine Herausforderung. Wenn du glaubst, das Geschaukel zu überlisten und zwei Meter zu schaffen, kannst Du sicher sein, irgendwo rein zu treten, wo du nicht reintreten wolltest. Geruch von Erbrochenem macht es schwer, nicht auch selbst zu kotzen.13:42 Uhr. Cebu Island kommt in Sicht. Doch es wird noch rund eine Stunde dauern, bis wir Tabuelan erreichen. 14:45. Wir haben Tabuelan erreicht. Trotz des Winds und der Wellen schafft es die Crew, festzumachen. Ich bin froh, festen Boden unter den Füßen zu spüren.
Pannen und Probleme
Fast fünf Stunden sind wir jetzt schon unterwegs und mindestens zwei Stunden stehen uns noch bevor bis Cebu. Laut Fahrplan hätte die ganze Fahrt bis Cebu insgesamt nur 6 Stunden dauern sollen. Aber so ist das halt auf den Philippinen: Abenteuer. Nach eine halben Stunde etwa (15:20), in einer S-Kurve bei Mangga, geht’s mit dem Abenteuer weiter: Ein lauter Knall hoch, danach hinten rechts ein rhythmisches Klopfen: „Tok, tok, tok.“ Der Fahrer bleibt erstaunlich ruhig, schaltet die Warnblinke ein und lässt den Bus am rechten Fahrbahnrand ausrollen. „Dear passengers, no panic. Nothing happened. I think, we have a technical problem.“
Der Fahrer steigt aus, läuft um den Bus und bittet uns ebenfalls, auszusteigen. Wir sehen schnell, worum es geht: Der rechte Hinterreifen hat sich zerlegt. Trotz der Situation bleibt der Fahrer ruhig und gelassen. Aus dem Stauraum hinter dem Kofferraum holt er ein Ersatzrad heraus. Es ist beeindruckend, wie mühelos er das schwere Rad anhebt und an die Karossiere lehnt. Dann wird das Ersatzrad montiert. Der Reiseleiter, ebenfalls in Uniform, hilft ihm beim Aufsetzen auf die Stehbolzen. Anschließend werden die Radmuttern werden festgezogen und überprüft. Ein letzter Check noch, und der Bus wird wieder abgelassen. Um sicherzustellen, dass alles fest sitzt, werden die Muttern nochmal nachgezogen. Keine halbe Stunde später (15:50 Uhr) ist der Reifenwechsel erledigt, und wir können die Reise fortsetzen.
Ankunft in Cebu
Fast acht Stunden waren wir nun seit Bacolod North Terminal unterwegs, als wir am Cebu South Bus Terminal an. Ich nehm’ mir ein Jeepney zum Frankfurter Hof, wo ich heute und die nächsten Tage übernachten möchte. Es ist schon komisch, die zehn Minuten Fahrt bis zum Frankfurter Hof haben ausgereicht, dass ich mich sofort in Cebu verliebt hab. Vielleicht liegt es daran, dass mich die Straße unwahrscheinlich an den weihnachtlichen Kudamm in Berlin erinnert. Der Osmeña Blvd. ist eine Straße, der das Herz dieser Stadt verkörpert und mir das Gefühl vermittelt, zu Hause zu sein.
Frankfurter Hof
Als ich in den „Frankfurter Hof“ reinkomme, ist der Laden leer, aber die Antwort ist: „Sorry, we are full.“ Weihnachten eben, viele deutsche Touristen in Cebu, und die gehen natürlich ins deutsche Restaurant. Nass und durchgefroren frag ich, ob ich einen heißen Tee bekommen könne – eine ganze Kanne voll! Das geht. Während ich meinen Tee trinke, gibt sich der Besitzer – und das muss man ihm lassen – wirklich redlich Mühe und setzt alle Hebel in Bewegung, um ein Bett für mich zu finden.
Im „Town & Country“, ein paar Häuser weiter den Osmeña Blvd. rauf hat er schließlich Erfolg. Ich bekomm’ das beste Zimmer meiner ganzen bisherigen Reise. Zimmer Nummer 1. Ein riesiges Zimmer, bestimmt 50 m² groß mit großem französischem Bett, Bad, Toilette und Klimaanlage. Für 190 ₱ die Nacht. Nach dem langen Tag ist mir der Preis egal. Endlich ein Ort, wo ich durchatmen kann. Ach ja: Die Jones Avenue heißt schon seit mehr als 20 Jahren Osmeña Blvd., aber vielleicht hatte Karl-Heinz ja seinerzeit viele Karten gekauft und noch welche übrig.
Nachdem ich geduscht hab, gehe ich zurück in den „Frankfurter Hof“, um Danke zu sagen und weil bald Weihnachten ist, gönn’ ich mir heute Mal was richtig Gutes: Rahmschnitzel, Spätzle und grünen Salat. Dazu einen Johnny Walker Black Label und ein Carlsberg. Erst fühlt sich alles so toll richtig an, aber dann – pünktlich um Mitternacht – geht’s los: Durchfall, genau so heftig wie vor vier Tagen auf Boracay. Ach Manno!
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