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Massai

Ich hoffe, es geht deinen Rindern gut


„Wie? Was? Ich hab‘ gar keine Rinder.“ Im ersten Moment ist man etwas überrascht. Aber so, wie wir in Bayern vielleicht „Grüß Gott“ sagen, obgleich wohl auch niemand ernsthaft glaubt, in nächster Zeit persönlich mit dem zu Grüßenden in Kontakt zu kommen, so grüßt der Massai eben mit „Ich hoffe, es geht deinen Rindern gut“. Die ganz alltägliche Begrüßung. Wenn man aber ein paar Momente d’rüber nachdenkt, stellt man fest, dass das Rind schon eine ganz enorme Bedeutung haben muss, wenn Massai dieses Tier gar in ihrer Grußformel verwenden.

Und Bedeutung hat das Tier wirklich. Die Massai sind nämlich felsenfest davon überzeugt, dass Enkay, wie sie ihren Gott nennen, sie als einzige und alleinige Hüter der Rinder auserkoren hat und ihnen deshalb in grauer Vorzeit die Tiere überließ. Dementsprechend ist es nur logisch, dass die Massai auch heute noch überzeugt sind, alle andern, auch die Besitzer der riesigen Rinderherden in den USA beispielsweise, hätten ihnen, den Massai, den einzig rechtmäßigen Besitzern der Rinder, diese vor Urzeiten gestohlen. Rinder, die eigentlich den Massai gehören. Deshalb versteht der Massai auch nicht, dass es Gesetze gibt, die ihnen das „Zurückholen“ der Rinder verbietet.

Es ist also nicht verwunderlich, dass Rinder für Massai das Wichtigste sind, was es überhaupt gibt. Mit ihren Rindern sind die Massai ein Leben lang verbunden. Sie liefern ihnen die wichtigste Lebensgrundlage – Tag für Tag. Aber dennoch, ein Massai würde nie ein Rind schlachten, nie ein Stück Fleisch eines Rindes essen. Der Massai isst auch sonst kein Fleisch, weder Gnu noch Antilope noch sonst was. Okay, dann isst er eben Gemüse, Kartoffeln, Früchte usw. Weit gefehlt! Ackerbau kennt der Massai nämlich auch nicht. Ackerbau ist „dreckig“. Aber nicht im Sinne von „sich dreckig machen“, sondern im Sinne von „sich schuldig fühlen“.

Der Massai verletzt niemals die Erde. Auch nicht, wenn es darum geht, einen Verstorbenen zu bestatten. Nein, in diesem Fall wird der Todgeweihte, sollte „Vater Hein“ bei ihm anklopfen, einfach „in die Wüste“ geschickt, d.h. Wüste gibt’s nicht im Lebensraum der Massai, dann eben in die Savanne! Dort besiegeln wilde Tiere das irdische Leben des ehemals stolzen Kriegers…

Wenn der Massai nun kein Fleisch isst und auch keinen Ackerbau betreibt, wovon lebt er dann? Gute Frage!
Sein tierisches Eiweiß erhält er aus einem Getränk namens „Saroy“. Ein „Shake“ aus Kuhmilch vermischt mit Rinderblut. Um an das Blut zu gelangen wird den Rindern der Hals aufgeschlitzt. Das Blut rinnt in eine Schale, wo es mit Milch zu „Saroy“ verrührt wird. Hat man genug Blut „getankt“, wird die Blutung mittels Kräutern und sonstiger Zutaten, die ich nicht kenne, gestillt.

Das ganze kommt mir schon etwas archaisch und tierquälerisch vor, aber zumindest werden die Rinder bei dieser Methode nicht getötet. Ob die Tiere dieses Prozedere so mögen, ich weiß es nicht.

enkang (Das Familiendorf)


Verheiratete Massai und ihre Familien wohnen in einem Dorf mit etwa 20 bis 50 Hütten, dem sogenannten „Enkang“. Um den „Enkang“ verläuft eine dichte Dornenhecke, welche das Dorf vor Raubtieren, wie Löwen, Leoparden, Hyänen und Schakalen schützt. Man hat mir erzählt, die umgebende Dornenhecke habe genau so viele winzige Durchgangsöffnungen, wie Familien im Dorf wohnen. „Mein“ Dorf hatte nur einen Eingang. Heißt das, dass in dem Dorf nur eine einzige Familie wohnt? Ich werde es nie erfahren.

Im Dorf angekommen, führen die Massai zur Begrüßung einen ihrer traditionellen Tänze auf. Dabei stehen sie nebeneinander, bewegen Oberkörper und Kopf vor und zurück und singen. Das heißt, Singen kann man das eigentlich nicht nennen. Es ist eher ein Stöhnen oder lautes Luftausstoßen. Dabei springt ein Tänzer aus der Runde in die Höhe, so weit er nur kann, während die anderen einen plötzlichen Angriff andeuten. Wohl ist mir dabei nicht. Ich habe die „Begrüßung“ über mich ergehen lassen. Nun bin ich also Gast in einer für mich absolut fremden Kultur.

watoto (Kinder)


Urplötzlich sind auch Kinder da, die den Fremden neugierig beobachten. Erst auf Distanz, dann immer näher kommend. Ich setz´ mich zu ihnen ´runter und versuche Konversation. Mein Kisuaheli ist nur äußerst bruchstückhaft. Trotzdem erhascht man immer wieder ein Lächeln, wenn die „watoto“ (Kinder) vom mgeni (Fremden) in ihrer eigenen Sprache angesprochen werden.

In meinem Rucksack habe ich Bananen dabei, die ich gerne verschenken möchte. Die Kinder gucken neugierig, aber doch distanziert. Als ich eine Banane schäle und ein Stück davon abbreche und selbst esse, verlieren auch sie ihre Scheu. Gierig wird die Frucht verschlungen.

Dabei dachte ich, Bananen seien in Afrika ein „Allerwelts-Obst“. Jetzt fällt mir erst auf, in und um das Dorf habe ich überhaupt keine Obstbäume oder Stauden gesehen. Leben die Massai tatsächlich nur von Saroy? Jedenfalls wurde ich – dank der Bananen und der paar Brocken Kisuaheli – schnell zum rafiki wa watoto (Freund der Kinder). Ein kleiner Tipp am Rande: Ich empfehle jedem, egal, wohin er reist, stets ein kleines Geschenk im Gepäck zu haben und, wenn man Fotos nicht nur „stehlen“ will, auch ein paar Worte in Landessprache zu sprechen.

vibanda (Hütten)


Katungwa lädt mich ein, seine Hütte zu besuchen. „Hii ni nyumba yangu“ (Dies ist mein Haus). Man betritt die mit Kuhdung verputzte Hütte durch einen engen Tunnel, der etwa 1,20m hoch ist und wie bei einem Schneckenhaus zunächst außen an der Wand entlang und dann ins Innere führt. Mit 1,86m und einem Rucksack auf dem Rücken gar nicht so einfach.

Auch innen sind die Häuser sehr niedrig. Schon nach kurzer Zeit tut mir der Rücken weh. Aber ansehen muss ich das Haus! Und Katungwas Einladung zurückweisen, das wäre das letzte! In der Nacht gesellen sich zu Katungwa und dessen Familie auch noch Ziegen und kleinere Kälber. Die Gefahr, wilden Tieren zum Opfer fallen, ist einfach zu groß. Trotz der alles umgebenden Dornenhecke. Ach ja, Katungwa spricht verhältnismäßig gut englisch, sonst hätte ich wohl kaum alles mitbekommen.Nur durch einen Verschlag von den Menschen getrennt, verbringen die jungen Vierbeiner die Nacht im Haus. Sie meckern und muhen, scharren und – was man nicht verachten sollte – sie machen auch hier ihr „Geschäft“. Aber was noch schlimmer ist: Mit dem Vieh kommt auch das ganze Ungeziefer mit ins Haus: Flöhe und Läuse und was weiß ich noch, Viehzeug jedenfalls, dem es auf Menschen auch ganz gut gefällt.

wanamume (Männer)


Außer dem „Enkang“ gibt es bei den Massai auch noch eine andere Art Dorf, das „Manyatta“. Ein Dorf ohne Dornenhecke. Die braucht man dort auch nicht. Denn im „Manyatta“ wohnen „gestandene Männer“ oder solche, die es einmal werden sollen. Wenn Massai-Buben etwa 14 Jahre alt sind, dann sind sie reif, zum Mann zu werden. Nach der traditionellen Beschneidung verlassen sie ihre Familien um mit Gleichaltrigen das „Manyatta“ zu errichten und in der Savanne zum Mann zu reifen. Im „Manyatta“ leben sie so lange, bis sie eins geworden sind mit den Traditionen ihrer Väter.

Erst wenn ihnen all deren Lieder, Tänze und Kämpfe zu eigen sind, wird irgendwann ein Priester kommen und sie ins Dorf zurück holen. Mit der Rückkehr ins Dorf ändert sich dort die Altersstruktur. Die Heimkehrer werden nun Juniorkrieger und die ehemaligen Juniorkrieger Seniorkrieger. Die Seniorkrieger ihrerseits werden nun Juniorälteste und die bis dahin Juniorältesten erreichen den höchsten Grad im Leben eines Massai, sie werden Seniorälteste. Die ganz alten, so sie’s denn noch erleben, ziehen sich zurück und führen ein privates Leben außerhalb der Dorf-Ordnung.Die Bekleidung der Massai ist einfach: die Männer tragen ein leuchtend rotes Baumwolltuch um die Hüften, die Frauen ein Fell oder ein Stück Leinen, das auf der Schulter befestigt ist. Ach ja, Frauen! Frauen spielen in der Massai-Gesellschaft so gut wie gar keine Rolle.

wanamke (Frauen)


Frauen haben im Wesentlichen nur eine Aufgabe: Für Nachwuchs sorgen, männlichen! Daneben müssen sie Vieh hüten, Kühe melken, Brennholz sammeln, Wasser besorgen und die Häuser bauen. Massai Frauen haben in jeder Hinsicht die „Arschkarte“ gezogen. Egal ob als junges Mädchen, Heranwachsende oder als reife Frau. Vor der Beschneidung gilt ein Massai-Mädchen als Kind. Wird ein sogenanntes „Kind“ schwanger, dann war es – zumindest in früherer Zeit – üblich, dass das Mädchen verstoßen wurde, ausgesetzt und den Hyänen und Schakalen überlassen.

Wie das heute gehandhabt wird, kannst Du nicht in Erfahrung bringen. Wie auch, wenn man ausschließlich mit Männern spricht und wie auch sollte ein mgeni (Gast), ein derart diffiziles Thema ansprechen? Jedenfalls: Die Beschneidung der Frauen gehört zu den schlimmsten Praktiken, von denen ich während meiner Reise in Afrika gehört habe:

Bei vollem Bewusstsein, ohne Narkose und nur mit einem Stück Holz zwischen den Zähnen, in das sie sich verbeißen, werden die Mädchen von älteren Stammesangehörigen verstümmelt. Mit stumpfen, abgebrochenen und oftmals verrosteten Rasierklingen. Haben die Mädchen diese Prozedur überlebt, „dürfen“ sie heiraten. In der Regel einen ihr zugeteilten wesentlich älteren Mann. Einen aus der Gruppe der Junior-Ältesten. Als Europäer werde ich diese bestialische Massai-Tradition nie verstehen. Ich glaube auch nicht, dass die Massai im 21. Jahrhundert in diesen Traditionen verharren können. Um auf Dauer überleben zu können, brauchen die Massai unsere Hilfe: In erster Linie Aufklärung, Schulbildung und medizinische Versorgung.

kesho (morgen)


So viele Kinder. Ich hab‘ mich gefragt, was wohl aus ihnen wird, wenn die Massai nach wie vor an ihrer überlieferten Lebensweise festhalten. Wenn sie sich jeder zivilisierten Lebensweise widersetzen. Lebensweisen wie sie im übrigen Ostafrika auch heute schon gang und gäbe sind.

Werden die Massai jemals Anschluss kriegen an „unsere“ Welt? Und ist das überhaupt erstrebenswert?

shule (Schule)


Einen kleinen Hoffnungsschimmer sehe ich: Von dem Geld, das ich und die vielen anderen vor mir im Dorf gelassen haben, haben sie eine Schule errichtet und einen Lehrer aus Arusha engagiert. Damit ich sehe, dass das Geld auch wirklich zweckbestimmt angewandt wird, werde ich von David in die Schule eingeladen.

Stolz zeigt mir ein Junge, was er gelernt hat. Danach noch einer und noch einer. Bis die ganze Klasse durch ist mit „Cha“, „Che“, „Chi“, „Cho“, „Chu“… Ein einziges Buch teilt sich die Klasse. Aber sie haben allesamt Schuluniformen (in Tansania Pflicht), eine Tafel und die Möglichkeit, rechnen und schreiben zu lernen…

Ob der Darbietung haben wir das wichtigste fast übersehen: Es sind Mädchen in der Klasse!

tumaini? (Hoffnung?)


Natürlich gab’s im Dorf auch schon Anzeichen „westlicher Zivilisation“. Manche Krieger trugen Armbanduhren und manche Hütten waren mit Wellblechresten gedeckt. Und der Schmuck, den mir erwachsene Frauen verkaufen wollten, war größtenteils mit Plastikperlen hergestellt.

Welche Alternative bietet Ostafrika selbst? Vielleicht eine komfortablere Hütte? Mit viel Glück eine Hütte mit Stromversorgung? Von fließend Wasser jedenfalls können die Massai nur träumen?

Ein Traum aber scheint wahr zu werden. Was bisher undenkbar schien, ist hier gelebte Realität. Mädchen in einer Schule. Im Land der Massai!


BERICHTE AUS AFRIKA

5 Reaktionen zu “Massai”

  1. Andy

    Toller Bericht und sehr schöne Fotos.

  2. Massaifreund

    Die Massai essen Ziegenfleisch!

    Danke Massaifreund. Davon wusste bzw. weiss ich nichts

  3. babsl

    ich mache eine Facharbeit über die Massai.
    Die Seite ist einfach PERFEKT!!!!!

  4. elli

    Beeindruckende Bilder! Jetzt ist es mir echt peinlich, daß ich Dir Tips zum Fotografieren gegeben habe… Ich hätte eher welche von Dir nötig!

    LG elli

  5. Sonya

    Ein sehr persönlicher Bericht, der mir wirklich gut gefällt!
    Das die Massai zu den Völkern gehören die ihre Mädchen beschneiden, wußte ich vorher nicht, die frauenverachtende Haltung der Männer allerdings war mir bekannt. Auch wenn mir die Lebensweise der Massai nicht zusagt und ich den Mädchen – weiß Gott!- ein anderes Leben wünsche, frage ich mich doch: Mit welchem Recht wollen wir in ihr Leben eingreifen und es verändern?! Eine Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alte Tradition ist es doch wohl wert, sich selbst weiterzuentwickeln, ohne die sehr zweifelhaften Segnungen unserer „Zivilisation“ – egal wieviel Verständnis wir für sie haben! Aufklärung – bei einem Volk, das massiv von AIDS bedroht ist- ist wichtig. Auch Hygienemaßnahmen, die den Mädchen bei den Beschneidungen unter Umständen das Leben retten können – auch gut. Meinethalben auch Anregungen, die Beschneidungen ganz zu lassen, würde mir echt gut gefallen!!!, aber das wiederum sehe ich trotzdem als Eingriff in ihr Volk.
    Wer sind wir, das wir in ihr Leben treten und sagen: Wir sind besser, wir wissen, wie man´s besser macht, kommt und werdet wie wir…?!

    LG
    Sonya